Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Emma im Glück

Emma im Glück

Titel: Emma im Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maja von Vogel
Vom Netzwerk:
»Wen vermisst du denn? Deinen Hund? Oder deine Katze? Für Haustiere sind wir leider nicht zuständig. Da musst du dich ans Tierheim wenden.«
    Ich schluckte. Jetzt war der Moment der Wahrheit gekommen. »Meine kleine Schwester ist verschwunden. Sie heißt Lili Laurenz und ist zweieinhalb Monate alt.«
    Der Polizist wurde schlagartig ernst. »Wie lange ist deine Schwester denn schon verschwunden?«
    Ich warf einen Blick auf die Uhr über dem Tresen. »Seit ungefähr einer Stunde. Sie ist mit einem dunkelblauen Kinderwagen mit grünem Verdeck unterwegs.«
    Der Polizist nickte und holte ein Formular hervor, auf dem er eifrig herumzukritzeln begann. »Und was hatte sie an?«
    »Einen gelben Strampler mit Blümchen drauf.« Meine Stimme kippte. Eine Träne rann aus meinem Augenwinkel. Klara nahm wieder meine Hand. Ich riss mich zusammen. »Und eine grüne Strickjacke. Auf dem Kopf trägt sie eine dazu passende grüne Strickmütze …«
    Die Jacke und die Mütze hatte Oma für Lili gestrickt. Sie würde wahnsinnig enttäuscht sein, wenn sie hörte, was ich getan hatte. Alle würden enttäuscht von mir sein. Nichts würde jemals wieder so sein wie vorher. Ich heulte wie ein Schlosshund. Die Tränen liefen über meine Wangen und der Rotz aus meiner Nase.
    »Na, na«, sagte der Polizist beruhigend. Er kam hinter dem Tresen hervor. »Jetzt kommt erst mal mit.« Er führte mich und Klara in ein Hinterzimmer. Wir durften uns auf zwei Stühle setzen. Dann reichte er mir ein Taschentuch. »Ich heiße übrigens Andreas Remmler. Und wie ist dein Name?«
    »Emma Laurenz«, flüsterte ich. »Werden Sie Lili finden? Ich glaube, sie ist entführt worden.«
    »Wir tun, was wir können.« Andreas Remmler griff zum Telefon. »Jetzt muss ich erst mal kurz telefonieren.« Während er leise in den Hörer sprach, putzte ich mir ausgiebig die Nase. Ich fühlte mich ganz schwach und zittrig. Dies war eindeutig der schlimmste Tag meines Lebens. Andreas Remmler nickte ein paarmal, dann deckte er die Hörermuschel mit einer Hand ab und wandte sich wieder an mich. »Welche Marke hat der Kinderwagen deiner Schwester?«, fragte er.
    Ich überlegte. Auf die Marke hatte ich nie geachtet. »Keine Ahnung … Aber auf dem Verdeck ist so eine Art lachende Sonnenblume.«
    Der Polizist nickte und gab die Information weiter. Dann lächelte er und legte auf.
    »Starten Sie jetzt eine groß angelegte Suchaktion?«, fragte ich hoffnungsvoll. »Sie müssen die ganze Gegend durchkämmen. Und den Park. Und die Ausfallstraßen sperren. Kontrollieren Sie auch den Bahnhof? Vielleicht wollen die Entführer ja mit dem Zug fliehen. Wahrscheinlich versuchen sie, Lili ins Ausland zu bringen …«
    »Immer mit der Ruhe.« Andreas Remmler lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Ich habe bereits alles Nötige veranlasst. Jetzt würde mich erst mal interessieren, wie es zum Verschwinden deiner Schwester gekommen ist.«
    Ich sackte in mich zusammen. Es war schon schwer genug gewesen, Klara die ganze Geschichte zu erzählen. Aber einem Polizisten alles zu beichten, war noch tausendmal schwerer. Klara nickte mir aufmunternd zu.
    Ich holte tief Luft und legte los. Andreas Remmler hörte schweigend zu. Ab und zu notierte er sich etwas, und ich überlegte, ob ich später ein Protokoll unterschreiben musste, so wie im Fernsehen. Eigentlich war das der Moment, in dem die Verdächtigen immer ihren Anwalt anrufen. Leider hatte ich keinen Anwalt. Und auch sonst niemanden, den ich anrufen konnte. Aber ich war ja auch nicht verdächtig. Oder?!
    Als ich fertig war, schwieg der Polizist.
    »Na, das ist ja eine tolle Geschichte«, stellte er nach einer Weile fest. »Kann es sein, dass du deine Schwester nicht besonders magst?«
    »Natürlich mag ich Lili!«, rief ich empört, und in diesem Moment wurde mir klar, dass das die Wahrheit war. »Schließlich ist sie meine Schwester. Okay, manchmal nervt sie mit ihrem Geschrei. Und wenn sie in die Windel macht, riecht das schlimmer als zehn Stinkbomben. Außerdem dreht sich alles nur noch um sie, seit sie da ist. Das macht mich manchmal echt wütend. Aber sie kann schließlich nichts dafür, dass alle so ein Theater um sie machen. Sie ist doch noch so klein … und so hilflos …«
    Ich hätte Lili beschützen müssen, aber ich hatte versagt. Mir kamen schon wieder die Tränen. So viel hatte ich seit der Trennung meiner Eltern nicht mehr geheult.
    In diesem Moment öffnete sich die Tür. Eine Polizistin kam herein. Sie schob einen Kinderwagen

Weitere Kostenlose Bücher