Emma traut sich was
viel schlauer als vorher. Vielleicht hätte ich ausnahmsweise mal etwas netter zu ihm sein sollen. Wer weiß, was er mir dann noch alles erzählt hätte. Mist!
Abends hielt Gesa auf der Apfelwiese ihre erste Yogastunde ab. Ich stellte mich vors Haus und guckte ein bisschen zu. Erstaunlicherweise waren tatsächlich ein paar Leute gekommen, um bei Gesas Kurs mitzumachen. Hätte ich nicht gedacht. Ich erkannte Herrn Pauli, unseren Pfarrer, und Frau Wieser, der das kleine Blumengeschäft an der Hauptstraße gehört. Dann waren noch zwei Männer und drei Frauen aus Dederstadt gekommen. Und Mama machte natürlich auch mit.
Erst setzten sich alle im Schneidersitz auf den Rasen, schlossen die Augen und brummten laut. Gesa hatte mir mal erklärt, dass das gut für die Konzentration und für die Entspannung sei. Warum, weiß ich nicht genau. Das Brummen dauerte ziemlich lange. Immer wenn die anderen fertig waren, fing Gesa wieder von vorne an. Nach ein paar Minuten musste ich furchtbar gähnen. Mannomann, war das langweilig.
Papa tauchte neben mir auf. Er war wie versprochen zum Abendbrot vorbeigekommen und hatte Oma danach noch beim Abwaschen geholfen. Mama hatte wieder nur das Nötigste mit ihm geredet, aber wenigstens hatten sie sich diesmal nicht angegiftet. Darüber war ich ziemlich froh. Dafür hatten Papa und Oma wieder jede Menge gequatscht. Vielleicht sollten die beiden einfach heiraten! (Ha, ha, kleiner Scherz.»Was machen die denn da?«, fragte Papa und kniff überrascht die Augen zusammen, als er die Leute auf unserer Apfelwiese sitzen sah. Sie brummten immer noch vor sich hin.
»Yoga«, erklärte ich. »Glaub ich zumindest.«
Papa und ich grinsten uns an. Ich wusste, dass wir beide gerade das Gleiche dachten. Nämlich, dass es ganz schön verrückt aussieht, wenn lauter Erwachsene im Schneidersitz auf einer Apfelwiese sitzen und brummen. Manchmal verstehen wir uns ohne Worte, das ist echt ein tolles Gefühl. Als wenn wir mit einem unsichtbaren Band verbunden wären, das niemals zerreißt.
Auch dann nicht, wenn wir mal eine Zeit lang an verschiedenen Orten wohnen, so wie jetzt gerade.
Dann sagte Papa: »Ich fahr jetzt mal wieder.« Das tolle Gefühl verschwand. Ich spürte, wie das Band nachgab.
Vielleicht merkte Papa das auch, denn er legte den Arm um mich und drückte mir einen Kuss auf die Haare. »Wir sehen uns morgen, okay?«
Ich nickte und fühlte mich gleich ein bisschen besser. Es wäre mir natürlich lieber gewesen, wenn Papa einfach hier geblieben wäre. Aber dass er morgen wiederkam, war auch schon nicht schlecht. Es war immerhin ein Anfang.
Als Papa mit seinem Motorrad vom Hof knatterte, hörten die Yoga-Leute auf zu brummen. Vielleicht, weil sie gegen das Knattern von Papas Motorrad sowieso nicht ankamen. Stattdessen standen sie auf und fingen an, mit den Armen und Beinen in der Luft herumzuschlenkern. Das sah witzig aus und ich musste kichern.
Oma streckte ihren Kopf aus dem Küchenfenster und sagte: »Das soll Yoga sein? Sieht eher aus wie Skigymnastik für Anfänger.«
Ich kicherte wieder. Irgendwie war ich ganz froh, dass Oma mit dem ganzen Yoga-Kram auch nichts anfangen konnte. Sonst wäre ich mir vorgekommen wie der einzige normale Mensch in einem Haus voller Verrückter.
Mama winkte mir zu und rief: »Komm her, Emma! Willst du nicht auch mitmachen? Das macht Spaß!«
Plötzlich schauten alle zu mir rüber. Ich schüttelte schnell den Kopf und verschwand um die Hausecke in den Garten. Ich glaube, Yoga ist nichts für mich. Vielleicht ist es mit Yoga ja genauso wie mit dem Küssen: Es klappt nur, wenn der richtige Moment dafür gekommen ist. Und beim Yoga würde für mich wahrscheinlich nie der richtige Moment kommen. Genauso wie beim Küssen. So war das nun mal.
9. Kapitel
Küssen ist doch
pipileicht!
o ein Quatsch«, sagte Lea. »Du bestimmst den richtigen Moment für deinen ersten Kuss. Und der ist genau dann gekommen, wenn du Bastian küsst.«
Wir saßen wieder nebeneinander auf den Schaukeln. Lea war sofort nach dem Abendessen vorbeigekommen. Hätte ich mir eigentlich denken können. Sie war natürlich superneugierig und hatte gleich wissen wollen, wie es mit Bastian gelaufen war. Eigentlich wollte ich gar nicht darüber reden, aber Lea ließ nicht locker. Schließlich zog sie mir die ganze Geschichte Stück für Stück aus der Nase. Manchmal können beste Freundinnen echt anstrengend sein.
Ein leises Brummen wehte von der Apfelwiese zu uns herüber. Ich hätte
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