Emma traut sich was
»Was denkst du denn? Klaus küsse ich bestimmt nicht!« Sie kicherte. »Wir waren uns doch einig, dass Tim der ideale Kusspartner für mich ist, oder?«
»Ja, klar, aber ...«, druckste ich herum. Irgendwie ging mir das alles ein bisschen zu schnell.
»Na also, wo ist das Problem?«
»Du kannst doch nicht einfach so da reinlatschen und ihn küssen!«, zischte ich. »Das geht nicht!«
»Klar geht das«, sagte Lea. »Wirste gleich sehen.«
Sie stieß die Tür auf und ging geradewegs in Tims Zimmer. Ich blieb auf der Türschwelle stehen und konnte immer noch nicht glauben, dass Lea das wirklich tun wollte. Sie machte bestimmt nur Spaß. Wahrscheinlich quatschte sie gleich bloß ein bisschen mit Tim und das war's dann. Und wenn wir wieder draußen auf der Schaukel saßen, würde sie sich totlachen, weil ich ihr auf den Leim gegangen war.
»Hast du echt geglaubt, ich würde Tim küssen? Einfach so?«, würde sie rufen und vor lauter Lachen fast von der Schaukel fallen. Ich konnte ihr Lachen in meinem Kopf ganz genau hören.
Tim saß an seinem Schreibtisch und bastelte an seinem Computer herum. Wie immer. Er sah auf, als Lea ins Zimmer stürmte.
»Hi, Lea«, sagte er. »Na, wie läuft's denn so?«
Lea antwortete nicht. Sie ging auf Tim zu, beugte sich zu ihm hinunter, sah ihm kurz in die Augen, spitzte die Lippen und drückte ihm einen Kuss direkt auf den Mund. Dann drehte sie sich um und ging an mir vorbei aus dem Zimmer. Ihr Gesicht war rot angelaufen und sie bewegte sich wie ein ferngesteuerter Roboter. Die ganze Aktion hatte nur ungefähr fünf Sekunden gedauert.
Ich sah zu Tim hinüber. Er hatte knallrote Ohren und sah Lea mit offenem Mund hinterher. Dann wischte er sich schnell mit der Hand über die Lippen.
»Was sollte das denn?«, fragte er. Seine Stimme klang ein bisschen heiser. »Spinnt die jetzt total?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Äh ... das war bloß eine Art Experiment ... Nicht, dass du jetzt irgendwas Falsches denkst ...«
»Ein Experiment? Was für ein Experiment denn? Ich bin doch kein Versuchskaninchen!«, schimpfte Tim.
»Das erklär ich dir später, okay?«, sagte ich schnell. »Tut mir Leid, wenn wir dich ein bisschen überrumpelt haben ...«
»Ein bisschen überrumpelt?«, rief Tim. »Das ist ja wohl die Untertreibung des Jahres ...«
Ich schloss schnell die Tür hinter mir.
Lea saß bewegungslos auf der Schaukel und starrte vor sich hin.
Ich ließ mich auf die andere Schaukel plumpsen und fragte: »Und? Wie war's?« Als sie nicht gleich antwortete, stieß ich sie mit dem Ellbogen an. »Jetzt erzähl schon!«
Diesmal war ich diejenige, die total neugierig war. Aber Lea reagierte gar nicht. Sie schien mit ihren Gedanken ganz woanders zu sein.
»Ich fass es nicht! Du hast es wirklich getan!«, quasselte ich drauflos. »Mann, Tim war vielleicht baff. Ich glaube, er war ein bisschen sauer. Aber mach dir keine Sorgen, der beruhigt sich schon wieder. Wie hat es sich denn angefühlt? Der Kuss, meine ich. Hast du irgendwas ... gespürt oder so?«
Lea lächelte versonnen. »Jaaa ...«
»Was denn?«, fragte ich ungeduldig. »Jetzt lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen!«
»Es war einfach ... toll«, hauchte Lea. »Ich hab jetzt noch ganz weiche Knie.«
»Weiche Knie? Warum das denn?«, fragte ich misstrauisch. »Na ja, bestimmt von der ganzen Aufregung, oder?«
Lea schüttelte langsam den Kopf. »Nein, vom Kuss. Tims Lippen haben sich ganz weich angefühlt. Und wie er mich dabei angesehen hat ... Ich glaube, es hat ihm auch gefallen.«
»Spinnst du?«, rief ich. »Tim war total sauer, weil du ihn so überrumpelt hast. Das hab ich doch gerade schon gesagt.«
Lea sah mich verständnislos an. »Echt? Hab ich gar nicht gehört.«
»Sag mal, ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte ich vorsichtig.
»Und wie!« Lea grinste wie eine Verrückte. »Mensch, Emma, Küssen ist einfach toll! Das musst du unbedingt auch ausprobieren.«
»Na, ich weiß nicht ...«, murmelte ich.
Lea war offenbar ziemlich durch den Wind und ich fing an, mir ernsthafte Sorgen um sie zu machen. Hoffentlich wurde sie nicht krank. Wenn Menschen hohes Fieber haben, benehmen sie sich ja auch manchmal ziemlich komisch.
Als sie vom Hof radelte, fuhr sie ganz langsam. Ein Wunder, dass sie nicht vom Fahrrad fiel. Dann bog sie nach rechts ab. Dabei wohnt sie links von uns.
Mona lag auf ihrem Bett und las, als ich auf den Dachboden kam. Ich warf mich in meine Hängematte und lauschte dem Brummen der
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