Emma traut sich was
mir am liebsten die Ohren zugehalten.
»Was machen die da eigentlich?«, fragte Lea. »Als ich vorhin gekommen bin, haben alle mit ihren Hüften gekreist und so eine Art Bauchtanz veranstaltet. Sah ganz schön bescheuert aus.«
Ich seufzte. »Das ist Gesas Yogakurs. Ich hab dir doch erzählt, dass Mama und Gesa hier ein Gesundheitszentrum eröffnen. Mit Yoga, Kochkursen und so weiter. Darum tauchen bei uns jetzt ständig so merkwürdige Leute auf und machen komische Verrenkungen.«
»Mensch, du Ärmste!« Lea sah mich mitleidig an. »Musst du da etwa auch mitmachen?«
»Quatsch! Auf keinen Fall. Ich find's schon peinlich genug, dass Mama mitmacht. Wenn das jemand sieht! Dann halten uns alle garantiert für total durchgeknallt. Oma findet Yoga zum Glück auch blöd. Wenigstens eine, die noch halbwegs normal ist. Erzähl bloß niemandem in der Schule davon, okay?«
Lea nickte. »Versprochen. Von mir erfährt niemand was.«
Dann redeten wir weiter über das Kussprojekt. Von Omas Theorie mit dem richtigen Moment für den ersten Kuss hielt Lea überhaupt nichts. Ich wusste so langsam wirklich nicht mehr, was ich glauben sollte. Jeder erzählte etwas anderes. Diese ganze Kuss-Angelegenheit schien ziemlich kompliziert zu sein. Am liebsten hätte ich die Sache einfach wieder vergessen. Ich konnte auch ziemlich gut leben, ohne ständig irgendwen zu küssen. Aber davon wollte Lea nichts wissen.
»Das Problem bei dir und Bastian war nicht der Zeitpunkt, sondern der Ort«, erklärte mir Lea. »Das Venezia ist einfach nicht der richtige Ort für den ersten Kuss. Viel zu laut und total unromantisch. Und viel zu viele Leute um einen herum, die einen ablenken. Es lag also gar nicht an dir, dass es nicht geklappt hat, sondern am falschen Ort.«
»Meinst du?«, fragte ich.
Lea nickte heftig. »Na klar. Du solltest jetzt auf keinen Fall aufgeben. Wir überlegen uns für das nächste Mal einfach einen todsicheren Plan, bei dem nichts schief gehen kann.«
»Das hast du letztes Mal auch gesagt und da ist so ziemlich alles schief gegangen«, sagte ich.
Darauf ging Lea überhaupt nicht ein. Wenn sie sich mal etwas in den Kopf gesetzt hat, hört sie nur das, was sie hören will. Eigentlich ganz praktisch.
»Wann seht ihr euch das nächste Mal?«, fragte sie.
Ich überlegte. »Donnerstag in der Schule, glaub ich.«
Bei dem Gedanken daran, dass Donnerstag die Schule wieder anfing, wurde mir ganz flau im Magen. Ich dachte lieber nicht länger darüber nach. Im Moment waren schließlich noch Ferien und da sollte man keinen einzigen Augenblick damit verschwenden, an die Schule zu denken.
»Also, in der Schule könnt ihr euch auf keinen Fall küssen«, stellte Lea fest. »Da sind zu viele Zuschauer. Am besten verabredest du dich gleich am Donnerstag mit Bastian. Lad ihn doch einfach zu dir nach Hause ein!«
»Meinst du?«, fragte ich. »Ist das nicht ein bisschen zu ... persönlich?«
»Quatsch! Ihr seid jetzt schließlich zusammen. Und dann gehst du mit ihm zu der Holzbank ganz hinten in eurem Garten. Steht die nicht sogar unter einem Fliederbusch? Das ist doch total romantisch! Und ihr seid ungestört.«
»Und was mache ich dann?«
Lea sah mich kopfschüttelnd an. »Dann küsst du ihn natürlich! Was denn sonst?«
»Ich weiß nicht, ob ich das kann«, murmelte ich.
»Klar kannst du das!«, rief Lea. »Küssen ist doch pipileicht. Du drückst einfach deine Lippen auf seine, fertig ist die Kiste.«
»Woher willst du denn wissen, dass Küssen so pipileicht ist? Du hast doch schließlich auch noch nie jemanden geküsst.«
Lea sprang von der Schaukel. »Los, komm mit, ich zeig's dir.« Sie lief zum Haus und zog mich am Arm hinter sich her.
Im Hof stand Mona und hörte der Yogagruppe beim Brummen zu. Sie sagte irgendetwas, aber bevor ich antworten konnte, hatte Lea mich schon ins Haus gezogen.
»Was willst du mir zeigen?«, fragte ich und versuchte, mich aus Leas Griff zu winden. Aber sie hielt mich bombenfest. »Autsch, du tust mir weh!«
Lea ließ meinen Arm los und ich betrachtete die Abdrücke, die ihre Finger hinterlassen hatten. Das gab bestimmt wieder einen blauen Fleck.
»Ich zeig dir jetzt, dass Küssen pipileicht ist«, erklärte Lea und ging schnurstracks auf die Tür von Tims Zimmer zu. »Tim ist doch zu Hause, oder?«
Ich nickte. »Ja, klar, aber was hat denn Tim damit zu tun ...?« Plötzlich ging mir ein Licht auf. »Du willst doch jetzt nicht etwa Tim küssen, oder?«
Ihre Hand lag schon auf der Türklinke.
Weitere Kostenlose Bücher