Emma will’s wissen
vielen Babyfotos an der Wand. Manche Babys schliefen, einige schrien, ein paar lächelten. Trotzdem sahen sie irgendwie alle gleich aus. Klein, glatzköpfig und verschrumpelt. Na ja, einige hatten auch Haare, aber die meisten nicht. Unter den Fotos standen die Namen der Babys: Finn, Anna-Lena, Jakob, Oskar, Nadine, Mia – ein Baby hieß sogar Emma! Mama hatte noch keinen Namen für das neue Baby ausgesucht. Papa machte jedes Mal neue Vorschläge, wenn er vorbeikam, aber Mama schüttelte immer den Kopf. Meis-tens waren die Namen auch etwas merkwürdig. Einmal hatte Papa Rosine vorgeschlagen, weil so seine Großtante hieß, bei der er als Kind immer in den Sommerferien war.
Rosine
– also bitte! Das ist doch kein Name! Ich mag Rosinen, aber nur in Topfkuchen mit Schokoladenguss.
Endlich wurde Mama aufgerufen. Meine Füße waren inzwischen eingeschlafen, und ich wackelte mit den Zehen, um sie wieder aufzuwecken.
»Haben Sie schon eine Urinprobe abgegeben, Frau Laurenz?«, fragte die Sprechstundenhilfe so laut, dass es alle im Wartezimmer hören konnten. Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken. So peinlich!
Als Mama draußen war, fingen zwei Frauen an, sich zu unterhalten. Beide hatten sehr, sehr dicke Bäuche. Sie redeten darüber, dass sie jetzt ständig zur Toilette mussten und manchmal auch etwas danebenging. Ich verzog das Gesicht. Das war ja ekelhaft! So was wollte ich gar nicht wissen. Da sagte die eine etwas Schreckliches:
»Ich hoffe nur, dass es nicht wieder so eine schwere Geburt wird. Als Lukas geboren wurde, lag ich vierundzwanzig Stunden in den Wehen. Die Schmerzen waren einfach grauenhaft. Und dann mussten sie ihn per Kaiserschnitt holen. Hinterher hat sich die Narbe entzündet. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich wäre dabei draufgegangen.«
Die andere Frau seufzte. »Ja, ja, so eine Geburt ist kein Kinderspiel.«
Dann redeten sie weiter über Verdauungsprobleme, Krampfadern, Wasser in den Beinen und Hämorriden. (Das Wort hatte ich noch nie gehört, aber ich fand, es klang nach etwas sehr Fiesem.) Mir wurde ein bisschen flau im Magen und ich hätte mir am liebsten die Ohren zugehalten. Eins ist klar: Ich werde nie, nie, niemals ein Baby bekommen. Vielleicht adoptiere ich später mal ein Kind. Zusammen mit Bastian. Am besten eins, das schon sprechen kann. Und alleine essen, damit ich es nicht andauernd füttern muss. Und das nicht mehr ständig schreit. So eine Schwangerschaft mache ich jedenfalls nicht mit. Und eine Geburt schon gar nicht, das ist ganz sicher.
Nach einer Weile kam Mama wieder zurück. Sie unterhielt sich vor dem Wartezimmer mit einer Frau in einem weißen Kittel. Das musste die Ärztin sein. Mama winkte uns zu sich. Ob sie wusste, dass sie ihr bei der Geburt vielleicht den Bauch aufschnitten? Und dass sich die Narbe hinterher entzünden konnte? Und manche Frauen dabei fast draufgingen? Bei dem Gedanken wurde mir eiskalt.
»Das ist meine Tochter Emma.« Mama legte mir die Hände auf die Schultern. »Und ihre Freundin Mona.«
»Guten Tag.« Rosalinde Stöckler-Lindemann trug eine Brille und hatte viele kleine Minilöckchen. Für eine Ärztin war sie ziemlich jung, fand ich. »Na, freust du dich schon auf dein Schwesterchen?« Sie lächelte mir zu.
»Geht so«, murmelte ich.
Mama drückte meine Schultern. »Emma muss sich erst noch an den Gedanken gewöhnen.«
»Also, ich freue mich schon wahnsinnig«, sagte Mona, obwohl niemand sie gefragt hatte.
Die Ärztin lächelte noch einmal, dann gab sie Mama die Hand und ging zum Wartezimmer, um die nächste Patientin aufzurufen. Mama holte ihre Karte und das grüne Heft bei der Sprechstundenhilfe ab. Auf dem Heft stand
Mutterpass
. Ich wusste nicht, dass Mütter einen eigenen Pass bekommen. Vielleicht, damit sie als Erste gerettet werden, wenn ein Feuer ausbricht.
Mona stand vor der Pinnwand neben der Tür. »Schau mal, Emma!« Sie zeigte auf einen der Aushänge. »Ein Babysitterkurs! Für Mädchen zwischen 12 und 16 Jahren. Man lernt wickeln, den Umgang mit Kleinkindern und wie man sich im Notfall verhält.«
»Na und?«, fragte ich mürrisch. »Wen interessiert das?« Ich wollte nichts von Babysitterkursen wissen. Und auch nichts von schweren Geburten, Kaiserschnitten und Hämorriden.
»Mich.« Mona kramte in ihrem Schulranzen, holte einen Stift heraus und schrieb etwas in ihr Hausaufgabenheft. »Da rufe ich gleich an, wenn wir wieder zu Hause sind. Vielleicht sind ja noch Plätze frei.«
Mona freute sich schon
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