Emma
also betrat sie das Zimmer so leise sie konnte, schlich auf Zehenspitzen
an sein Bett und setzte sich auf den Stuhl daneben. Still betrachtete sie ihn.
Seine
Züge waren ihr vertraut und doch auch wieder nicht. Es hatte sich etwas verändert,
das sie noch nicht greifen konnte, das aber dennoch existierte. Ein harter Zug
lag um seinen vollen Mund, an dessen früheres, siegessicheres Grinsen sie sich noch
gut erinnern konnte. Seine Labialfalten waren tiefer ausgeprägt als zuvor, was
seinem ganzen Gesicht einen asketischen Ausdruck verlieh. Nur seine Statur,
seine außerordentliche Größe und Muskulösität schienen sich nicht verändert zu
haben und doch war gerade seine Physis von dem Unfall am stärksten betroffen!
Emma
seufzte schmerzlich auf. Zu denken, dass dieser Ausbund an Virilität und
Lebenskraft vielleicht nie wieder würde gehen können! Dass er, der
unersättliche Liebhaber, vielleicht nie mehr – sie wollte den Gedanken nicht zu
Ende denken. Das schlechte Gewissen schnürte ihr die Kehle zu.
Vielleicht
war das alles ausschließlich ihre Schuld! Sie konnte diese ständige Beklemmung
einfach nicht abschütteln, sie wurde den Verdacht nicht los, dass er in jener
Nacht versucht haben könnte, sich mit seinem Auto das Leben zu nehmen.
Wie
immer verursachte ihr dieser Gedanke auch jetzt so etwas wie Panik und sie
presste die Hand auf den Mund, um ein entsetztes Keuchen zu unterdrücken, doch
Davide hatte sie gehört.
Langsam
wandte er den Kopf in ihre Richtung.
„Emma!“
Seine Stimme war leise und klang noch belegt vom Schlaf, doch er brachte ein
halbes Lächeln zustande. „Wie schön, wenn der Tag mit deinem Anblick beginnt!“
Sie
lächelte zaghaft zurück, nahm seine Hand und legte sie wie am Abend zuvor an
ihre Wange.
„Ich
wollte dich nicht wecken, tut mir leid!“
„Wie
spät ist es?“
„Gleich
halb sieben!“
Er
nickte und schloss noch einmal für einen Moment die Augen. Dann zog er seine
Hand weg, streckte seine Arme und gähnte. „Bald Zeit für dich zu gehen, nicht
wahr?“
„Ja,
bald.“
Mehr
brachte sie nicht heraus. Sie fühlte sich befangen, so als hätte er sie bei
etwas Verbotenem ertappt.
„Was
ist?“
Emma
sah auf und begegnete seinem Blick. Tatsächlich – ertappt ! Kannte er sie
denn wirklich so gut, dass er ihre bedrückte Stimmung sofort erfasste?
„Was
hast du für ein Problem? Haben dir die Ärzte nicht gesagt, dass ihr mir hier
keine schlechte Laune hereintragen sollt, weil das nicht gut ist für den
Genesungsprozess?“
„Doch!“,
sie brachte nur ein schiefes Lächeln zustande.
„Also
was bedrückt dich? Sag's mir, vielleicht kann ich dir ja helfen!“ Er stützte
sich mühsam auf seine Ellbogen und schob sich im Bett ein wenig nach oben. Die
Anstrengung nötigte ihm ein gequältes Grinsen ab. „Da biete ich dir Hilfe an,
dabei habe ich sie selber viel nötiger als du! - Also?“
Emma
schluckte heftig. Sollte sie das Thema tatsächlich anschneiden? Bisher war noch
keine Gelegenheit dazu gewesen, aber es würde sie ja doch nicht loslassen, also
war es wohl besser, das jetzt ein für allemal zu klären.
„Davide
– war es – ich meine – hast du ...“, nun verschluckte sie sich fast.
„Habe
ich was , Emma? Sprich mit mir und versuche es mit ganzen Sätzen! Ich
kann dir schließlich nicht weglaufen, egal was du mich fragen willst! Also los,
ich werde dich schon nicht beißen!“
Sie
holte tief Luft und begann von vorne.
„War
es Absicht, Davide? Hast du den Unfall absichtlich provoziert, weil du – weil
du dich ...“
„Weil
ich mich umbringen wollte, meinst du?“, kam er ihr endlich zu Hilfe und
vervollständigte ihren Satz. So wie er es aussprach, klang es unheimlich
brutal.
„Ja,
das meinte ich!“
Die
Spannung in der Luft schien mit den Händen greifbar zu sein.
„Also
das ist es, was dich beschäftigt!“ Davide wandte den Kopf und sah zur Decke
empor. „Hätte ich mir denken können, dass du dir deshalb Vorwürfe machst!“ Er
sah sie wieder an. Nun streckte er von selbst die Hand aus, um sie an ihre
Wange zu legen.
Emma
schmiegte ihr Gesicht in seine große Hand und schloss für einen Moment die
Augen.
Jetzt!
Jetzt
würde sie endlich erfahren, was wirklich passiert war und welche Schuld sie an
seinem Unfall und damit an seinem Zustand trug! Ihre Nervosität stieg wieder
an, fast fürchtete sie das, was er ihr nun vielleicht sagen würde.
Davide
holte tief Luft.
„Nein,
Emma, dieses Mal war es keine Absicht!“
„
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