Emma
Davide langsam, aber doch erkennbar, von Stunde zu Stunde
ansprechbarer. Er hatte längere Wachphasen, in denen er zwar schnell ermüdete,
aber man konnte sich bereits mit ihm unterhalten und er antwortete präzise und
richtig, wenn ihm Fragen gestellt wurden. Die Ärzte ermutigten Emma und
Antonio, mit ihm zu sprechen, ihn zu unterhalten und ihn geistig zu fordern.
Zum einen, um seinen mentalen Zustand einschätzen zu können, zum anderen, um
sein Gehirn, seine Wahrnehmung und seine Erinnerung zu trainieren.
Gegen
Mittag stand schließlich fest, dass er keinerlei geistige Schäden davongetragen
hatte. Antonio atmete befreit auf und Emma war überglücklich.
Er
ging schließlich am frühen Nachmittag in die Pension, um ein paar Stunden mit
seiner Frau zu verbringen, während Emma bei Davide blieb. Er war wieder
eingeschlafen. Sie hatte etwas zu Lesen mitgebracht, aber die meiste Zeit
verbrachte sie damit, ihn einfach nur anzusehen.
Als
sich hinter ihr die Türe öffnete, sah sie verwundert auf. Antonio hatte doch
erst später wiederkommen wollen!
Es
war nicht Antonio. Stattdessen trat ein junges Mädchen ein, ziemlich klein,
blass, mit langem, schwarzem Haar.
„Störe
ich?“, fragte sie flüsternd, schloss aber ohne eine Antwort abzuwarten die Tür
hinter sich und näherte sich auf Zehenspitzen dem Bett.
Emma
sah ihr fassungslos zu. „ Wer sind Sie ?“, fragte sie ebenso leise zurück.
„Nicol!“
Sie streckte ihr unbefangen die Hand entgegen. „Du bist Emma, nicht wahr? Du
musst es sein!“
Dann
warf sie einen näheren Blick auf Davide.
„Mein
Gott, der sieht ja wirklich ganz schön mitgenommen aus!“, wisperte sie sichtlich
betroffen.
Emmas
Herz schlug ihr plötzlich bis zum Hals. Was wollte dieses fremde Mädchen hier,
das so selbstverständlich hereinschneite, als wären sie und Davide alte
Bekannte? Und ob sie es nun zugeben wollte oder nicht – es war pure Eifersucht,
die sich beißend in ihrer Magengegend ausbreitete.
„Raus
hier!“, fauchte sie so leise sie konnte, „wir reden draußen! Jetzt sofort!“
Nicol
machte eine beschwichtigende Handbewegung. „Schon gut! Ich wollte nur sehen,
wie's ihm geht! Bin dann auch schon wieder weg, keine Angst!“
Emma
gab ihr keine Antwort, sondern bugsierte sie mit ziemlicher Hast nach draußen.
Erst als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, holte sie hörbar Luft.
„Ich
habe keine Angst!“, stellte sie nun klar, „ich will wissen, wer du bist und was
du hier machst!“
Aus
ihrer noch immer gedämpften Stimme war der Ärger deutlich herauszuhören.
Nicol
ließ sich auf einen der Stühle fallen, die in einer Nische im Flur standen, und
sah zu Emma auf.
„Wenigstens
bist du jetzt hier!“, sie nickte bedächtig. „Der Typ ist ja total verrückt nach
dir, das müsstest du mal erlebt haben!“
Fassungslos
stemmte Emma die Fäuste in die Hüften.
„Wie
bitte?“
„Beruhige
dich, ich hab ihn vor einiger Zeit mal zufällig in der Kneipe kennen gelernt, in
der ich jobbe“, begann Nicol.
Und
dann erzählte sie Emma alles, was sie mit Davide erlebt – oder eben auch nicht
erlebt - hatte. Wie sie sich getroffen hatten, was er ihr erzählt und dass er
verdammt unter der Trennung gelitten hatte. Und dass sie es geschafft hatte,
ihn dazu zu überreden, sie nach Hause zu ihrer Mutter zu fahren.
„Keine
Chance, ihn zu irgendwas Intimerem rumzukriegen, glaub mir!“, beteuerte sie mit
so treuherzigen Augen, dass Emmas Ärger schlagartig verflog. „Ich hab's
versucht, und nicht nur einmal, aber da war einfach nichts zu machen! Treu wie
Gold, der Kerl, und das bei einer Tussi, die ihn so eiskalt abserviert hat wie
du!“
Emma
biss verstimmt die Zähne aufeinander, verkniff sich aber einen Kommentar – es
war ja genauso gewesen!
„Jetzt
weißt du also Bescheid!“, schloss Nicol ihre Ausführungen. „Es ist nichts passiert,
und zum Glück hat er ja überlebt!“
„Wie
hast du es überhaupt erfahren?“, erkundigte sich Emma, nun doch neugierig
geworden.
„Er
hat mich noch angerufen, an dem Abend, als er zurückfuhr, deshalb hat die
Polizei gestern bei mir nachgefragt, weil meine Nummer in seiner
Wahlwiederholungsliste war. Sie wollten mir aber nichts Genaueres sagen, bis
ich schließlich behauptete, ich sei seine uneheliche Tochter und er hätte mich
eben besuchen wollen, als es passierte.“
„Das
haben sie dir geglaubt?“ Emma war fassungslos.
„Ich
kann sehr überzeugend sein, wenn ich möchte!“, Nicol grinste verschmitzt.
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