Emmas Story
oder meine herausragende Augenfarbe zu machen.
Ich kann sowieso anziehen was ich will und sehe immer toll aus. Sogar in dem schlichten weißen T-Shirt, das ich gerade – in Kombination mit sehr viel Reue – zu der khakifarbenen ¾-Hose trage.
Besagte Reue schleppe ich schon seit ein paar Tagen mit mir herum. Genauer gesagt seit dem Augenblick, in dem mein Kontaktanzeigen-Antwort-Brief im Briefkasten der Hauptpost mit einem leisen Geräusch den Boden berührte – von da an unerreichbar für mich.
Mal im Ernst: Was mache ich hier eigentlich?
Ich bin auf dem Weg zu einer Verabredung, die keine ist. Denn vielleicht kommt sie ja gar nicht.
Ich habe keinen Absender auf den Umschlag geschrieben. Sie hatte also keine Chance, mir zu- oder abzusagen.
Was weiß ich, ob sie freitagabends grundsätzlich ihre Großmutter im Altenheim besucht oder an einer Gruppe bei den Anonymen Alkoholikern teilnimmt oder Aqua-Aerobic-Kurse gibt.
Das alles könnte sein. Zumindest theoretisch.
Und diese theoretischen Möglichkeiten geben meinem Freitagabend noch eine zusätzliche absurde Komponente.
Dabei ist schon allein die Tatsache, auf eine Kontaktanzeige zu antworten, irgendwie peinlich. Es weckt den Eindruck, dass ich es nötig habe, die Zeitung auf der Suche nach oberflächlichen Bekanntschaften zu durchstöbern.
Ich bin 36 Jahre alt und gerade dabei, meine Doktorarbeit über Moral und Ethik zu schreiben. Sollte ich da nicht anderes zu tun haben, als in Kneipen auf eine unbekannte Frau zu warten, die wahrscheinlich grottenhässlich, gähnlangweilig und aus den vorangegangenen zwei Gründen höchstwahrscheinlich pechanhänglich sein wird?
Warum sind mir all diese Gedanken eigentlich erst gekommen, als das Kind schon in den Brunnen – sprich der Brief in den Kasten – gefallen war?
Hannelore habe ich vorsichtshalber erst gar nichts von dieser Sache erzählt. Ich kann mir gut vorstellen, wie sie mich mit hochgezogener rechter Augenbraue einen Moment lang verwundert gemustert hätte.
Die Gute liest zwar regelmäßig die Gala. Aber Kontaktanzeigen sind ganz gewiss unter ihrer siebzigjährigen Würde.
Und wenn schon Blind Date, warum dann ausgerechnet im Yellow? Mich muss wirklich der Teufel geritten haben. Das Yellow ist die einzige Schwulen- und Lesbenkneipe im Umkreis von 100 Kilometern.
Hier treffen sich nicht nur Massen von fantastisch aussehenden Schwulen, sondern auch solche wie Armin, sowie Lesben, Feministinnen oder Ultracoole-die-Heteromänner-für-mindestens-einen-Abend-satt-haben.
Du findest immer jemanden zum Quatschen, Flirten, Zeit vertreiben. Sprich: Es ist eine super Alternative für Abende, an denen du als Single normalerweise allein zu Hause hocken würdest. Aber eine sehr schlechte Wahl für ein erstes Kontaktanzeigen-Kennen-Lern-Treffen. Denn schließlich ist nirgends die Wahrscheinlichkeit, Bekannte und FreundInnen zu treffen, so hoch wie hier.
Außerdem habe ich keine Ahnung, wie die Sandstrandpiratin auf dieses Ambiente reagieren wird.
Schließlich weiß ich nichts über sie.
Eine völlig fremde Frau wartet auf mich!
Doch als ich die Tür des Yellow öffne, sehe ich gleich, dass momentan niemand auf mich wartet.
Für einen Freitagabend ist es noch recht leer, und während ich den Eingangsbereich durchquere, kann ich gut erkennen, dass vorn an der Theke, direkt neben der Cappuccinomaschine noch alles frei ist.
Und dort sollte der Treffpunkt sein. Andernfalls hätten die unbekannte Piratin und ich uns einen Wolf suchen müssen inmitten der FreitagabendausflüglerInnen. Sie weiß ja noch nicht einmal, dass ich eine Frau bin.
»Pikant, pikant!«, hatte Armin dazu gemeint. »Was ist, wenn sie auf Typen fliegt, schwer mit einem attraktiven Model rechnet und stinksauer wird, wenn sie dich sieht?«
»Dann ruf ich dich schnell per Handy an, du kommst dazu, sie verknallt sich in dich, erfährt, dass du schwul bist und wird stinksauer?«, hatte ich vorgeschlagen.
Ernsthaft: Ich habe heute mehrmals mit dem Gedanken gespielt, gar nicht zu dieser albernen Verabredung zu gehen.
Was verspreche ich mir von dieser Aktion?
Andererseits ist es nicht fair und regelrecht gemein, derart direktive Aufforderungen zu verschicken und dann nicht zu erscheinen.
Jedenfalls werde ich die Anzeigennummer nie wieder probieren! Versprochen, Emma!
Weil ich also weiß, was sich gehört, stehe ich hier an der Cappuccinomaschine, vertieft in die Speisekarte, die ich so gut kenne wie mein Klingelschild, und meine Laune
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