Emmas Story
los.«
Hannelore sieht mir schmunzelnd zu, wie ich mich zum Aufbruch rüste. Mein Styling für heute ist stilvoll verlegtem Parkett und einem Balkon, der über zwei Zimmer reicht, angemessen: Eine weite, weich fallende Hose mit Sandaletten und ein ärmelloser Rolli, über den ich die bewährte Strickjacke gezogen habe. Die Haare werden von einem farblich passenden Band zusammengehalten.
Ich schultere die Tasche.
Armin sieht ein wenig schuldbewusst aus. »Du hast doch noch etwas Zeit«, versucht er mich halbherzig aufzuhalten.
»Vielleicht hat sie noch was vor«, mutmaßt Hannelore. Ihr süffisanter Unterton entgeht mir nicht.
Ich bedenke sie mit einem strengen Blick, der eigentlich bei niemandem seine Wirkung verfehlt. Wenn eine schöne Frau mit klaren Gesichtszügen eine Augenbraue hebt und dazu betont kühl aus ihren grauen Augen schaut, mit leicht gesenkten Mundwinkeln und kerzengerader Haltung, dann ist das den meisten extrem unangenehm. Sie wenden sich ab, lächeln hektisch und verlegen, schauen erschrocken, entschuldigen sich für die simpelsten Dinge und sind zu sämtlichen verlangten Büßertaten auf der Stelle bereit.
Hannelore jedoch ist mit ihren 71 Jahren offenbar immun gegen solch einen Tadel.
Sie grinst mich frech wie eine 17-Jährige an und schiebt sich eine Weintraube in den geschminkten Mund.
Mit diesem Bild vor Augen steige ich die Stufen zur Haustür hinunter und gehe die wenigen Meter zu meinem Auto.
Ich schließe die Wagentür auf, steige ein, lasse die Tür hinter mir zufallen, sitze still.
Allein eine Wohnung anzuschauen macht keinen Spaß.
Einfach nicht hinzufahren, ist unfair.
Bleibt noch die Möglichkeit abzusagen.
Der Blick auf die Uhr sagt, ich habe noch eine Stunde Zeit.
In dieser Stunde fahre ich raus aus der Stadt in den Stadtteil, in dem die Wohnung liegt. Von hier aus bietet sich ein schöner Ausblick auf den See. Natürlich nicht von allen Häusern, nicht von allen Balkonen. Aber es muss doch hübsch sein, wann immer du heimkommst, zumindest einen kurzen Blick auf die blaue, mit viel Grün umstandene Fläche dort unten zu erhaschen.
Es ist eine schiere Verschwendung, eine Wohnung in dieser Umgebung, mit diesem Ausblick allein anzusehen.
Es wird mich frustrieren.
Es wird mich runterziehen, und am Ende habe ich gar nichts von dieser Besichtigung.
Ich könnte absagen.
Eine Weile starre ich auf mein Handy, das auf dem Beifahrersitz liegt.
Dann beuge ich mich vor und wühle im Handschuhfach nach dem Zettel mit der Nummer.
»Hallo?«, meldet sich am anderen Ende eine Stimme schon nach zweimaligem Läuten.
»Hi«, sage ich und stelle fest, dass ich nicht halb so gelassen klinge, wie ich gern würde. »Ich bin’s. Hättest du Lust, dir mit mir zusammen eine Wohnung anzusehen?«
»Du kommst ja schnell zur Sache. Aber ja, wieso nicht? Ich habe zufällig heute frei, und das kann doch nur lustig werden. Wo soll ich hinkommen?«, lacht Lu.
* * *
›Ich in so blöd! Ich bin so blöd! Ich bin so …‹
Ich hasse Kraftausdrücke und seien sie auch noch so sehr in die Umgangssprache eingepflegt.
Wenn ich mir selbst vorsage, wie blöd ich bin, dann hat das etwas zu bedeuten.
Hier stehe ich, bereits drei Minuten zu spät für den verabredeten Termin mit der Vermieterin, vor dem Haus und warte auf eine Frau, die ich schon als Kind nicht ausstehen konnte, die ich vor ein paar Wochen zuverlässig vergessen hatte, die ich vor ein paar Tagen eigentlich nie wiedersehen wollte und die niemals, niemals pünktlich ist.
Wie konnte ich nur so spontan und unüberlegt Hannelores Idee folgen?
Wie konnte ich nur so blöd sein und auch noch selbst die Initiative ergreifen?
Reicht es nicht schon, wenn Lu mir zweimal zufällig über den Weg läuft?
Reicht es nicht, wenn sie sich ein Wiedersehen und ein ›erneutes Kennen lernen‹ wünscht?
Reicht es nicht, dass sie mir die ganze vergangene Woche nicht aus dem Kopf ging? Dass ich ununterbrochen darüber nachdenken musste, wie es sein kann, dass eine Frau, die am rechten Ringfinger einen Ehering trägt, auf einer Party eine andere Frau zur Verabschiedung küsst? Auch wenn sie nicht richtig geknutscht haben. Es war kein Zungenkuss oder so etwas. Aber es war ein zarter, liebevoller Kuss. Auf den Mund.
Als Lu schließlich auftaucht, ist sie schon zehn Minuten zu spät für den Termin.
Ich hasse Unpünktlichkeit.
Das Haus sieht schon von außen so aus, als hielte seine Vermieterin nicht sehr viel von verspäteten
Weitere Kostenlose Bücher