Emmas Story
wiedergetroffen habe, bin ich mir nicht sicher, ob die vorhandene Dosis Lu nicht sowieso für mein ganzes restliches Leben gereicht hätte.
»Nein, danke. Ich werde wohl noch etwas spazieren gehen. Unten am See ist es bestimmt ganz hübsch«, erwidere ich, meine Stimme klingt immer noch ein wenig trotzig.
»Ich habe eine andre Idee«, sagt Lu mit geheimnisvollem Lächeln. »Du hast mir dein Hobby gezeigt. Jetzt zeige ich dir mein Hobby. Dazu muss ich aber erst wieder heimfahren. Komm doch mit! Wir können deinen Wagen später hier abholen.«
Ich hätte das höflich ablehnen können. Aber so eine leidenschaftliche Bitte kann ich wahrscheinlich nicht in den Wind schlagen.
Irgendwann wird mir mein gutes Benehmen mal mein Rückgrat brechen, da bin ich sicher.
Ich werfe einen letzten Blick hinunter zum leuchtenden Blau des Sees und steige dann bei ihr mit ein.
»Was hast du denn vor?«, will ich wissen.
»Überraschung!«, strahlt Lu. Und augenblicklich bereue ich es, mich nicht abgesetzt zu haben.
Ich hasse Überraschungen.
Überraschungspartys sind für mich ein echter Stimmungskiller. Überraschungen in Form von heimlich organisierten Theaterbesuchen haben bestimmt schlechte Laune zur Folge.
Und ein Überraschungsurlaub würde bei mir ganz sicher mächtig ins Wasser fallen.
Ich kann es nicht leiden, wenn ich nicht weiß, was mich erwartet.
Lu neben mir merkt gar nicht, wie ich mich wieder versteife.
»Die Wohnung war ja ein echter Traum«, schwärmt sie, während sie sich in den Verkehr auf der Hauptstraße einfädelt. Ihre Wangen glühen immer noch vor Begeisterung. »Was für ein Pech, dass ich sie mir nie im Leben leisten könnte. Sonst würde ich sofort umziehen.«
Das glaube ich ihr aufs Wort.
»Ist das nicht furchtbar, ständig so irre Buden zu Gesicht zu bekommen, aber nie umzuziehen?! Ich würde ja bekloppt werden!« Sie sieht mich kurz an, als sei ich ein Übermensch, der diese gewaltige Anstrengung schließlich jedes Wochenende freiwillig auf sich nimmt.
»Nö«, sage ich. »Ich finde die Wohnungen zwar schön, aber irgendwie fehlt meistens doch irgendetwas.«
»Du willst allen Ernstes sagen, dass dieser Wohnung da oben etwas fehlt?«, staunt sie. »Was denn um Himmels willen?«
Ich zucke lustlos die Achseln.
Kurz, nur sehr kurz, taucht vor meinen Augen das Bild eines verwilderten Gartens auf. Der Blick aus dem Küchenfenster hinaus in sattes, wucherndes Grün. Im Hintergrund ein leicht schiefer Gartenzaun mit abblätternder Farbe. Rasch schüttele ich den Kopf, um den Gedanken zu verscheuchen.
»Kann ich auch nicht genau sagen. Jedenfalls war sie nicht hundert Prozent perfekt.«
Darüber muss Lu offenbar erst mal eine Weile nachdenken.
Sie fährt die Strecke in die Stadt hinein.
Schade, ich hätte gern etwas Natur gesehen, wäre gern den Tag über abseits des Großstadtdaseins gewesen. Und vor allem hätte ich gern gewusst, was ich vorhabe.
Schließlich räuspert Lu sich. »Machst du das deswegen jedes Wochenende? Weil du auf der Suche nach etwas Perfektem bist?«
Wieder hebe ich kurz die Schultern.
Lu ist nicht zufrieden damit. »Aber was passiert, wenn du es gefunden hast? Irgendwann wirst du doch bestimmt mal das Perfekte für dich finden. Und dann? Ziehst du dann wirklich um?«
Ich wende mich etwas unwirsch zu ihr. »Woher soll ich das wissen? Diese Fragerei führt doch nirgendwohin. Wohin willst du eigentlich mit mir?«
Sie grinst nur geheimnisvoll.
Eigentlich müsste sie es wissen. Dass ich es nicht mag, wenn ich nicht weiß, was mich erwartet. Kaum zu fassen, dass ich mir das von ihr gefallen lasse. Ich kann solche Situationen nicht ausstehen.
Ausgerechnet mit Lu sitze ich hier in ihrem Auto und weiß nicht, wohin sie mich chauffieren wird.
Doch unsere Fahrt endet an einer Stelle, die ich hätte erraten können: Die grünen Häuser an der Elisabethkirche. Hier wohnt sie.
Wir steigen aus.
»Soll ich deine Wohnung auch besichtigen?«, frage ich klamm, als wir den Hausflur betreten, in dem wir uns vor zwei Wochen gegenseitig über die Füße gestolpert sind. Zwei Wochen ist das erst her? Es kommt mir viel länger vor, dass Lu wieder irgendeinen undefinierbaren Raum in meinem Leben einnimmt. Wenn ich so recht überlege, während ich die Stufen zu ihrer Wohnung im zweiten Stock hinaufsteige, kommt es mir vor, als sei sie überhaupt nie weg gewesen. Meine Arme überziehen sich bei diesem gruseligen Gedanken mit einer leichten Gänsehaut.
»Es wird nur eine kleine
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