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Emmas Story

Emmas Story

Titel: Emmas Story Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Miriam Muentefering
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einem kleinen Zweig, von dem sie die Rinde abschälen wird. Dessen bin ich mir sicher. Und tatsächlich beginnt sie ein paar Sekunden später damit.
    Ich habe es gehasst. Früher fand ich es furchtbar, dass sie ihre Hände nicht mal ein paar Minuten stillhalten kann.
    Heute stört es mich überraschenderweise nicht.
    Gar nicht.
    »Nein. Was meinst du denn damit?«
    »Das hier.« Sie deutet hinein in den Wald, auf die Hunde, hinauf zum Himmel, dessen strahlendes Blau mit dem Blattgrün der Bäume wunderschön kontrastiert. »Das ist mein Hobby: Die Gedanken zu Schweigen bringen .«
    »Zum Schweigen bringen«, sage ich, fast automatisch.
    Sie sieht mich für einen kurzen Augenblick seltsam an. Mir wird schlagartig heiß unter diesem Blick. Als müsse nicht sie sich für ihre Fehler, sondern ich mich für mein Korrigieren schämen.
    Doch dann grinst Lu breit: »Wenn du nicht mehr dran denkst, ob zu oder zum, dann beherrschst du mein Hobby auch.«
    Dann sagen wir eine Weile nichts.
    Ich denke: ›Wie soll das denn gehen? Die Gedanken zum Schweigen bringen?‹
    Ich denke immer.
    Egal, ob ich mich gerade intensiv mit etwas beschäftige, ob ich mich mit jemandem unterhalte, ob ich lese, fernsehe oder nur vor mich hin starre. Selbst wenn ich abends oder morgens im Bett liege, hänge ich entweder dem vergangenen Tag oder den gerade entronnenen Träumen nach.
    Meine Gedanken schweigen nicht.
    »Tust du es jetzt gerade?«, frage ich sie neugierig.
    Sie lacht. »Oh, nein! Jetzt gerade rattert es wie verrückt in meinem Kopf. Ich glaube, um zu zweit die Gedanken zu … zum Schweigen zu bringen, braucht es sehr viel Übung. Und sehr viel Vertrauen.«
    Was sie damit sagt, ist, dass sie zu mir nicht genügend Vertrauen hat. Und ehrlich gesagt, kann ich ihr das ganz sicher nicht verübeln. Ich wollte sie nie wiedersehen. Ich wollte mich nie wieder melden. Ich habe innerlich aufgestöhnt, als sie mir nicht nur einmal, nein, gleich ein zweites Mal wie zufällig begegnete. Ich habe sie nur aus reiner Höflichkeit gebeten, mit mir tanzen zu gehen. Aus reiner Höflichkeit bin ich nun mit ihr hier. Kein Wunder, dass diese Geschichte mit den schweigenden Gedanken jetzt nicht klappt.
    Wir betrachten beide die Hunde, die sich um uns herum gelegt haben. Kasper ist der einzige Junge unter den dreien. Er war derjenige, der mich vorhin im Wohnzimmer aus dem Gleichgewicht bringen wollte. Seine braunen Augen verbergen sich hinter einem Wust von wichtig aussehenden, weißen Brauen. Sein helles, struppiges Fell ist jetzt voller Erde und altem Laub.
    Belle trägt ihren Namen bestimmt mit sehr viel Stolz, denn außer dem Namen selbst ist nicht sehr viel Schönes an ihr zu entdecken. Sie ist unscheinbar beigefarben, klapperdürr, mit einem spitzen Gesicht, in dem die Augen so weit nach außen gerutscht sind, dass ich anfangs den Eindruck hatte, sie müsse den Kopf drehen, um mich ansehen zu können.
    Jojo ist mit Abstand die Größte der drei. Vielleicht ist eine deutsche Dogge mit drin. Vielleicht auch nur ein schwarzer Tiger. Momentan sieht sie sehr friedlich aus, wie sie – bekleidet mit ihrem rosaroten Halstuch – an einem Tannenzapfen herumkaut.
    »Sicher liebst du sie sehr«, sage ich, weil mich der Anblick der gemütlich bei uns liegenden Hunde irgendwie rührt. »Ich finde, Hunde zu haben, muss doch so etwas Ähnliches sein, wie Kinder zu haben. Ihr macht den Eindruck einer Familie. Weißt du, was ich meine? Du sorgst für sie. Sie sind dir dankbar und folgen dir. Jeder deiner Schritte wird von ihnen beobachtet. Sie lernen von dir. Und du kannst in ihnen bestimmt Trost und Wärme finden, wenn grad kein Mensch da ist.«
    Mein Blick fällt wie von selbst auf Lus rechte Hand, an der der goldene Ring blitzt.
    Lu sieht mich amüsiert an.
    »Du bist noch genau wie früher. So dramatisch … uuuuhhh! Bis zum Gehtnichtmehr. Meine Güte, Emma, du machst das Leben so kompliziert. Große Gefühle brauchen nicht automatisch auch großen Worte. Sie sind einfach da, egal ob du drüber sprichst oder nicht. Hast du noch nicht gemerkt? Es wird nicht weniger, kleiner, wertloser, wenn du es nicht in reiche, blumige Sätze schmückst. Manchmal denke ich sogar, es verliert dadurch.«
    Ich bin über ihre kleine Rede so baff, dass ich nicht antworte.
    Daher zeigt sie auf Jojo. »Sie sind nicht meine Kinder, weißt du. Sie sind meine Hunde.« Sie sieht die Tiere an, jedes einzelne, lange und ausführlich, als müsse sie sie genau studieren. Dann lächelt sie: »Aber

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