Emmas Story
Stippvisite, keine Bange«, lächelt Lu. »Wir müssen nur noch jemande abholen, ohne den mein Hobby keinen Spaß machen würde.«
»Jemanden«, murmele ich.
»Und was ist, wenn es mehrere sind?«, fragt Lu und schließt ihre Wohnung auf.
Schlagartig wird mir klar, wen sie damit gemeint hat. Natürlich ihre Hunde. Gerade hat sie noch im Gespräch mit wildfremden Menschen lang und ausführlich von ihnen erzählt. Dennoch habe ich sie bereits wieder vergessen. Frauke und ihre Hündin fallen mir ein. Für Menschen mit Tieren sind die Tiere tatsächlich ein jemand, habe ich durch Frauke gelernt. Und offenbar sofort wieder vergessen. Fast schäme ich mich ein bisschen.
Wir gehen hinein.
Ich bin überrascht, dass die Hunde wirklich nicht bellen und nicht an uns hochspringen. Lu hat es vorhin bei Frau Sander und Frau Kessel genau richtig ausgedrückt: Sie wuseln um uns herum und machen dazu »Fiiiieeep! Fiiieeep!« Auch der große Hund macht das.
»Meine Güte, was ist das denn für ein Brecher?«, staune ich und betrachte die riesigen Lefzen des Tieres, die hin und her schwingen, während es sich schwanzklopfend im Kreis dreht. Der Schwanz hängt so hoch, dass er mir gegen die Hüfte schlägt. Und ich bin eine große Frau.
»Der Brecher ist eine sie. Sie heißt Jojo«, erklärt Lu.
»Was ist das für eine Rasse? Die kenne ich gar nicht.«
»Oh, ich weiß auch nicht genau. Wir nehmen an, es ist irgendwas in xxl.«
Wir?
Ich frage nicht, wer die andere Person zu diesem wir ist. Und ich weiß plötzlich insgesamt nicht mehr recht, was ich tun soll. So unvermittelt in Lus Zuhause zu stehen, überfordert mich.
Was mich am meisten irritiert, ist der Geruch, der um uns herumschwebt. Es ist ein Geruch, den ich vergessen hatte. Nur kurz war er wie ein Blitzlicht der Erinnerung aufgetaucht, als Lu mich umarmte, vor 14 Tagen im Hausflur, direkt vor dieser Wohnungstür.
Hier ist dieser Eindruck aber nicht flüchtig, nur ein rasch vergänglicher Hauch. Hier bleibt er um mich herum wie ein Polaroid-Bild, das aus einem hellen Nebel heraus immer dichter und dichter wird, bis es schließlich so klar und eindeutig vor einem liegt wie die Realität.
Es ist ein Duft nach Orange und frischen Kräutern, etwas Frisches, Wildes, das ich immer als einen Teil von Lu betrachtet habe und das unweigerlich mit ihr verbunden ist. Ich kam in die Wohnung, nahm den angenehmen Duft wahr und schnupperte. Und als ich mich dabei ertappte, wusste ich schlagartig nicht mehr, was ich jetzt als nächstes tun sollte. Die guten Sitten haben mich verlassen.
Weil mir nichts anderes einfällt, betrachte ich die Hunde, die hierhin und dorthin laufen, kleine Stofftierchen ranschleppen und erwartungsvoll jeden Schritt verfolgen, den Lu tut.
Die merkt nicht das Geringste von meiner Verwirrung und geht erst mal zur Toilette. Als wären wir allerengste Vertraute, lehnt sie die Tür nur an und spricht weiter mit mir, während ich sie am Reißverschluss ihrer Jeans nesteln höre: »Sieh dich ruhig um. Die Küche ist ein Schlachtfeld. Aber sonst müsste es ganz ordentlich sein. Am schönsten ist das Wohnzimmer.«
Weil es mir peinlich ist, hier im Flur herumzustehen und Lu beim Pinkeln zuzuhören, gehe ich tatsächlich ein paar Schritte weiter und stehe bereits im Türrahmen zum Wohnraum.
Er besitzt zwei große Fenster auf der gegenüberliegenden Seite. Fast mitten im Raum steht ein großes, einladend aussehendes knallrotes Sofa, das meinen Blick anzieht.
Es ist so ausgerichtet, dass man von dort aus automatisch auf den Fernseher sieht, der in einer Ecke auf dem Boden steht. Es ist so ein riesiges Ding, ganz flach, ungefähr einen Meter hoch, mit drehbarem Sockel und fetten Boxen links und rechts. Auf dem Boden steht ein dvd-Player, daneben ein Stapel dvd-Hüllen, handbeschriftet oder als Kauf- CD erkenntlich.
Lu hat schon früher viel ferngesehen. Sie liebte gute Filme und träumte davon, in ihrem Zimmer eine kleine Kinoleinwand zu besitzen. Den Traum hat sie sich also beinahe erfüllt.
Ich gehe hinüber und hocke mich hin, um die Titel der Filme zu lesen. Sie sind so unterschiedlich, wie sie nur sein können. Wild durcheinander lese ich: Der Tag des Falken, Highnoon, Last action hero, Mitternachtsspitzen, Krieg der Sterne , hiervon sogar Teil eins, zwei, drei, Casablanca … weiter komme ich nicht. Da werde ich von rechts geschubst und muss mich mit den Händen auf dem Boden abstützen, um nicht umzufallen.
»Hey«, mache ich. Das haarige Gesicht eines der
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