Emmas Story
Hunde lacht mir entgegen. Anders kann ich das nicht bezeichnen.
Er sieht mich mit weit geöffneter Schnauze an, als amüsiere er sich über seinen kleinen Streich. Dann dreht er sich herum und trollt sich. Ich schaue ihm nach.
»Ist was passiert?«, ruft Lu aus dem Bad. Die Spülung geht.
»Nichts«, antworte ich laut in ihre Richtung.
Da erst fällt mir auf, dass das Sofa deswegen mitten im Raum steht, weil an der Wand gar kein Platz dafür wäre. Jeder einzelne Meter Wand ist bestückt mit offenbar selbst gezimmerten Holzregalen.
Sogar über und unterhalb der Fenster ziehen sich schmale Regalbretter entlang, auf denen ein Sammelsurium unterschiedlichster Dinge liegt, steht und sitzt.
Sie tut es also immer noch.
Lus verrückteste Macke war schon immer das Sammeln von Dingen.
Sie sammelte Springseile, Brieföffner und -beschwerer, Schallplatten, Federn, Murmeln, schöne Kisten, Stempel, Füller, Modeschmuck-Ringe, ungewöhnliche Plastiktüten und Parfüm-Pröbchen.
Offenbar sind im Laufe der Jahre noch ein paar andere Sammelleidenschaften dazugekommen.
Direkt über einem der beiden Fenster sitzt eine ganze Horde Stoffaffen und glotzt von dort oben herunter. Sie passen nicht wirklich zueinander. Manche von ihnen sehen kaufhausneu aus, andere abgegriffen und vergammelt. Die einen sind groß, andere winzig klein, manche nackt, andere in vollem Zirkusäffchen-Dress. Nichtsdestotrotz sind es alles Affen.
Trotz der Vielfältigkeit der hier gelagerten Dinge scheint keine Unordnung zu herrschen. Die Regalbretter sind sorgsam abgestaubt, die Gegenstände sauber und in Schuss. Ein bisschen wirkt der Raum wie ein ungewöhnlich sortierter Gemischtwarenladen, der auf interessierte Kundinnen wartet.
Auf der Seite des Raumes, auf der sich auch die Tür befindet, scheint Lu Dinge aus der Natur zu sammeln. Dort finden sich ein paar verschlungene Äste, die eher wie Wurzeln aussehen. Eine Ansammlung absolut kreisrunder, flacher Steine, die perfekt wären, um sie übers Wasser springen zu lassen. Eine Vielzahl von Muscheln. Direkt daneben die Fossilien. Es ist auch eine in Bernstein eingeschlossene Biene darunter. Die hatte sie schon, als wir Kinder waren. Schon damals.
»Du denkst bestimmt, ich bin verrückt, oder?«
Ich zucke zusammen.
»Musst du dich immer so anschleichen?«, brumme ich.
»Sag schon!«, drängelt sie. »Du denkst, ich bin völlig bekloppt, weil ich immer noch diese ganze Krempel habe.«
Fast schon will ich etwas Spitzes antworten, aber dann siegt doch meine Vernunft. Oder vielleicht ist es auch mein Mitgefühl?
»Ich schätze, so ein Urteil kann ich mir nicht erlauben. Jedenfalls nicht, solange ich an den Wochenende durch fremde Wohnungen stolziere und so tue, als wolle ich sie mieten«, sage ich. »Ist das dein Hobby, das du mir zeigen wolltest? Hast es seit damals ja noch etwas ausgeweitet. Und die ganzen alten Sachen sind noch da.«
Es ist das erste Mal, dass ich unsere gemeinsame Vergangenheit anspreche. Abgesehen von dem kurzen Gespräch auf der Frauenparty haben wir bisher nicht über persönliche Dinge von früher gesprochen.
Es ist fast, als hätten wir bisher vermieden, zu erwähnen, dass wir damals außer Klassenkameraden und Nachbarn noch andere Gemeinsamkeiten hatten.
Nicht nur ich habe es vermieden, stelle ich jetzt gerade fest. Auch Lu hat bisher keine Anspielungen auf unsere sonderbare Freundschaft gemacht.
»Nein, das ist es nicht«, antwortet sie jetzt. »Komm. Ich zeig dir was.«
* * *
Ich sage es nicht gern. Aber sie hat Recht gehabt.
Als wir auf dem Parkplatz neben einem einzigen anderen Auto, dessen Besitzer weit und breit nicht zu sehen war, hielten, sagte Lu: »Der See ist doch total überlaufen am Wochenende. Das hier ist viel besser.«
Und seitdem haben wir keinen anderen Menschen getroffen.
Wir streunen durch diesen Wald, den sie wie ihre Westentasche zu kennen scheint. Wir folgen winzigen Pfaden, klettern über Baumstämme, tauchen unter herabhängenden Ästen durch. Wir setzen uns auf weiche Kissen aus Moos in einen Sonnenfleck. Durch die Baumkronen dringen ganze Bündel von Licht wie Heerscharen von stramm stehendem Lametta. Wir werfen Bälle, lachen über die herumtobenden Hunde, schießen Tannenzapfen vor uns her. Halten am Bach an, in dem die Hunde erst ihren Durst löschen und danach herumplanschen wie ausgelassene Kleinkinder im Babybecken des Schwimmbades.
»Weißt du, was das heißt: Deine Gedanken zu Schweigen bringen? «, fragt sie und greift nach
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