Emmas Story
ziemlich lange der Versuchung, nach dem Rechten zu sehen.
Ich spüle ab. Zerdeppere dabei ein Glas. Räume die Scherben auf. Fege einmal den Küchenboden. Poliere den Herd, von außen und von innen. Sortiere die Lebensmittel im Kühlschrank neu, wische währenddessen mal gründlich dort durch.
Irgendwann funktioniert es aber nicht mehr. Ich gehe hinüber, um mit besorgtem Blick in der Tür stehen zu bleiben.
Lu sitzt am Rechner, voll konzentriert.
Sie sitzt auf meinem schönen Drehstuhl mit kerzengeradem Rücken und einem Ausdruck auf dem Gesicht, der mich auf eine Weise beruhigt und auf eine andere beunruhigt.
Ich bin beruhigt, weil sie tatsächlich so aussieht, als wisse sie, was sie da tut.
Und ich bin beunruhigt, weil ihr Anblick mir so vertraut ist. Ich kenne ihr Gesicht und seine unterschiedlichsten Ausdrücke so gut, dass sie mir nicht die Spur fremd vorkommt – trotz der letzten siebzehn Jahre.
Es kommt mir so vor, als hätte sie schon oft an meinem Schreibtisch gesessen, umlagert von drei Fellmonstern.
›Ich wüsste, was zu tun wäre, wenn ich ein paar Jahre jünger wäre …‹, höre ich Hannelores Stimme.
Bevor Lu sich umdrehen kann, verschwinde ich bereits wieder in der Küche. Dort stelle ich fest, dass meine Tupper-Sammlung dringend eine neue Ordnung benötigt …
Währenddessen denke ich darüber nach, wie verrückt das Leben einem Menschen manchmal mitspielen kann.
Statt jetzt gemeinsam mit einer untröstlichen Frauke auf meinem Sofa zu sitzen, ihre Hand zu halten, alles weitere zum Auffangen von akutem Liebeskummer vorzubereiten und mich dadurch – getreu dem Rat eines guten Freundes – endlich ins richtige Licht zu rücken, fuhrwerke ich zwischen meinem Geschirr herum und höre hin und wieder vom meinem Arbeitsplatz aus Flüche und Verwünschungen.
Schließlich blitzt meine Küche nur so vor Sauberkeit.
Und da erscheint Lu in der Tür, neben ihr Kasper, der locker an ihr vorbei trabt und sich wie selbstverständlich an der Wasserschüssel bedient, die ich vorsorglich dorthin gestellt hatte. Immerhin weiß ich spätestens, seit ich Loulou kenne, wie man Gasthunde richtig bewirtet.
»So. Mehr kann ich auch nicht tun«, sagt Lu und gähnt herzhaft.
»Und was heißt das?«, frage ich.
»Dass du warten musst, bis dein Computer-Feuerwehrmann übermorgen kommt«, erwidert sie. »Der kann dir dann sagen, ob ich jetzt Quatsch fabriziert habe oder nicht. Aber sag mal, wofür habe ich mich jetzt eigentlich so abgerackert? Worum geht es in deiner Doktorarbeit?«
»Madelein Chapel und Egon Goldmann«, erwidere ich knapp und wienere noch ein bisschen am Herd herum obwohl der schon blitzt, als müsste er in einem Meister-Propper-Werbespot auftreten.
Irgendwie ertrage ich es nicht, sie anzusehen. Und weiß nicht, warum das so ist.
Sie ist erhitzt, ihre Wangen sind gerötet. Sie sieht verwirrend vertraut und fremd zugleich aus.
Dann besinne ich mich eines Besseren. Schließlich hat Lu gerade drei Stunden lang versucht, meine Arbeit zu retten.
»Sie waren beide Literaten und haben sich zwischen 1915 und 1939 ganz wunderschöne Briefe geschrieben. Ihre Liebesgeschichte ist wirklich eine ganz besondere.«
»Ist das nicht jede Liebesgeschichte?«
Wir sehen uns einen Moment lang an.
»Keine Ahnung«, seufze ich dann. »Ehrlich gesagt, habe ich von Liebesgeschichten ungefähr so viel Ahnung wie von Computern. Und soll ich dir mal was sagen? Ich will auch gar nicht mehr Ahnung davon haben. Wenn ich mir anschaue, welche Scherereien solche Dinge machen … da sollte man doch lieber gleich darauf verzichten.«
Lu blinzelt. »Auf Computer oder auf Liebesgeschichten?«
Ich winke ab. »Auf beides.«
Sie betrachtet einen Moment ihre eigenen Hände, als müsse sie meine Antwort sorgfältig abwägen und den Zustand meines Verstandes überprüfen.
»Und was wirst du machen, wenn du ein Doktor bist?«
»Na ja, ich bekomme automatisch ein höheres Gehalt.«
»Du wolltest also einfach nur mehr Geld verdienen?« Sie klingt irgendwie enttäuscht. Wie Blitze fliegen plötzlich Erinnerungen herbei. Die Erinnerungen an viele Gespräche und Schwüre, in denen ich beteuerte, nur Anwältin mit hehren Zielen werden zu wollen. Entweder das oder früh als Heldin sterben – so wie Sophie Scholl. Wenn Lu dieses Bild von mir im Kopf hat, dann wird sie mein Ansinnen nach einem höheren Gehalt ganz sicher enttäuschen.
»Nein, natürlich nicht. Ich wollte wissenschaftlich arbeiten. Und stell dir vor, ich finde die
Weitere Kostenlose Bücher