Emmas Story
Texte der beiden wirklich wunderschön. Ich dachte, ich könnte die Welt bereichern, indem ich sie etwas mehr publik mache, indem ich andere Menschen auf sie hinweise.«
»Das ist doch ein schönes Ziel«, findet Lu, offenbar ohne meinen Sarkasmus beachten zu wollen.
»Ja«, lache ich trocken. »Tatsache ist jedoch, dass kein Mensch sich für meine Dissertation interessiert. Niemand wird auch nur für einen Augenblick innehalten in seinem Leben, um sich die Gedichte und Briefe von XX und XY anzusehen. So ist die Welt eben.«
Lu wiegt den Kopf. »Was eine Doktorarbeit angeht, könntest du wirklich Recht damit haben. Die ist bestimmt nicht einfach zu lesen. Aber du könntest deine Arbeit populär aufarbeiten und dann als Buch verkaufen. Vielleicht will ein Verlag es rausgeben, zusammen mit einem Band der gesammelten Briefe und einem zweiten Band mit einer Auswahl von Texten. Uhh, stell dir das vor: Es wäre wie die Bücher über Virginia Woolf und Vita Sackville-West.«
»Natürlich«, erwidere ich mit einem schiefen Grinsen. »Die Welt wartet nur darauf, dass Emma Rusche beschließt, unter die Biografen zu gehen.«
Lu mustert mich eingehend, dann lässt sie sich auf einen Küchenstuhl plumpsen.
»Was ist eigentlich mit dir passiert, Emma? Wieso bist du so … so … depressiv?«
Eigentlich wollte ich gerade zu meiner Teetasse greifen, aber jetzt erstarre ich in der Bewegung.
»Wie bitte?«
»Guck nicht so geschockt. Ich mein das nicht böse. Vielleicht ist depressiv auch nicht das ganz richtige Wort. Aber du wirkst so … niedergeschlagen. Als wärest du jetzt schon, mit Mitte dreißig, am Ende des Lebens. Ohne Perspektive, ohne Ziele. Ich kenn dich von früher so ganz anders. Du wolltest doch immer so viel. Lieber nach den Sterne greifen, als sich mit zu wenig zufrieden geben, weißt du noch?«
Ich weiß es noch.
Ich kann mich an diesen Spruch noch gut erinnern.
Aber eigentlich wollte ich gar nicht mehr an ihn denken. Vor allem nicht jetzt. Nicht heute Abend. Eigentlich nie wieder.
»Wir waren Kinder, Lu«, sage ich beherrscht. »Es ist unsinnig, Vergleiche zu den Träumen einer Vierzehnjährigen anzustellen. Ich frage dich ja auch nicht, was aus deinem großen Wunsch der Schauspielerei geworden ist. Wieso du nicht gemacht hast, wofür du damals gestorben wärest, sondern stattdessen in einer Gärtnerin herumwuselst und Keramiken für die Terrassen fremder Leute herstellst.«
»Vielleicht solltest du das mal!«, erwiderte Lu, plötzlich ruppig. »Vielleicht solltest du deine coole Art mal einfach fahren lassen und mich mal ganz neugierig fragen: ›Sag mal, Lu, wieso bist du eigentlich nicht Schauspielerin geworden, wie du es früher vorhattest?‹ Dann könnte ich dir sagen: ›Ich habe an zwei Theatern gearbeitet. Ich habe kennen gelernt, wie Schauspieler leben. Wie hart sie arbeiten, um sich jedes Mal aufs Neue wieder verbiegen zu lassen. Wie sie alle miteinander was haben, fast jeder mit jedem. Wie sie keine Freunde mehr haben außer anderen Schauspielern, die genauso leben wie sie. Ich habe erfahren, wie einsam dieser Beruf machen kann. Deswegen bin ich keine Schauspielerin geworden.‹ Und schon würdest du mich verstehen. Aber wenn du einfach nur da sitzt und mich groß anschaust und dir deinen Teil denkst, dann passiert kein Verstehen, dann passieren nur Fragezeichen! Ach, ja … und zufällig wusele ich nicht in einer Gärtnerei herum , sondern ich arbeite dort. Ich mag meine Arbeit, und ich liebe es, Keramiken herzustellen – besonders wenn die dann anderen Menschen auch Freude machen. Ich bin nämlich zufrieden mit meinem Leben, Emma! Ich bin glücklich!«
In meinen Kopf herrscht eine bleierne Stille.
Hier sitze ich, meine Tasse fest umklammert, und denke, dass ich das verdient habe. Dass sie auf meine betonte Gelassenheit mit einem brasilianischen Temperamentsausbruch reagiert.
Das habe ich davon.
Nicht zu zeigen, dass ich verletzt bin, macht die Verletzung nicht ungeschehen.
Vielleicht sogar im Gegenteil.
Aber ich kann nicht. Ich kann ihr doch nicht sagen …
Ich sehe auf die Uhr. Es ist bereits nach Mitternacht. Es ist viel zu spät, um solche Gespräche zu führen.
Ich bin nicht darauf vorbereitet.
Ich …
»Warum sagst du denn jetzt nichts?«, will Lu wissen. Sie klingt verdächtig ruhig. Sie klingt, als schwele auch bei ihr etwas unter der Oberfläche. Und ich habe keinen blassen Schimmer, was das sein könnte.
»Na ja, im Grunde hast du ja Recht. Ich meine, ich kann schon
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