Emmas Story
reinspazieren nach siebzehn Jahren, mir irgendwelche Liebeserklärungen um die Ohren pfeffern, die dir sowieso kein Mensch abnimmt und schon ist alles in Butter?«, schmettere ich ihr entgegen. »Du machst es dir ja mächtig leicht. Meinetwegen kannst du gehen, wohin du willst.«
Lu nickt. »Tschüss, Emma«, sagt sie.
Dann fällt die Tür ins Schloss.
10. Kapitel
»Sie haben gestern mal wieder zu lange und zu heftig gefeiert, und jetzt hilft nicht einmal eine Dröhnung mit Aspirin? Probieren Sie doch einmal unsere Ganzkörper-Energiemassage! Wir bringen Ihre angestauten Kraftreserven wieder zum Fließen. Kopfschmerz, Übelkeit und Schwäche verschwinden im Handumdrehen. Sonntags auch kurzfristige Hausbesuche.«
F rau Rusche?«, fragt meine Kollegin in der Uni irgendwann am nächsten Morgen. »Ist alles in Ordnung?«
»Ja«, antworte ich verwirrt. »Wieso?«
Sie deutet stumm auf einen Ordner, in den ich gerade Folien vom letzten Seminartermin einsortiere.
»Das sind die Akten von Professor Wettich.«
»Oh …« Ich schlucke und werfe einen Blick auf den Aktendeckel. Was eigentlich nicht notwendig ist. Denn um keine Unterlagen zu vertauschen, haben die Professoren unterschiedliche Farben in ihrem Sortiersystem. »Wo bin ich nur mit meinen Gedanken?«
Ich lächele meine Kollegin an, stelle den Ordner wieder zurück und greife zum richtigen.
Das ist nicht das erste Mal, dass mir heute so etwas passiert.
Zuerst hatte ich den Schlüssel fürs Büro zu Hause vergessen und musste mithilfe von mehreren vorbeikommenden Studenten den zuständigen Hausmeister suchen, damit er mir und meiner Kollegin aufschloss.
Dann habe ich vergeblich versucht, eine Unterrichtsvorbereitung auszudrucken und fluchte schon über alle Computer dieser Welt, als meine Kollegin mich darauf hinwies, dass ich den Drucker nicht eingeschaltet hatte.
Schließlich meldete ich mich am Telefon mit »Chapel?« und trank vor lauter Schreck über diesen Fauxpas aus der falschen Kaffeetasse.
Dass heute nicht mein Tag werden würde, war mir gestern Abend schon klar, als Lu meine Wohnung verlassen hatte.
Mir war allerdings nicht bewusst gewesen, dass es so schlimm werden würde.
Ich konnte die halbe Nacht nicht schlafen. Ständig fielen mir Situationen ein, in denen ich hätte darauf kommen müssen.
Tage und Stunden, an die ich schon seit Jahren nicht gedacht hatte.
Mir wurde heiß und kalt bei der Erinnerung an gegenseitige Massagen auf unseren Teenagerbetten, an enges Aneinandergeschmiegtsitzen beim Campen am Lagerfeuer, an das Gefühl ihrer Finger in meinen Haaren, um mir eine komplizierte Frisur zu flechten, ihren Stolz über ein von mir ausgeliehenes T-Shirt. Es hatte so viele Hinweise gegeben, dass ich mir jetzt wirklich vorwerfen muss, total blind gewesen zu sein.
Andererseits, überlege ich, als ich schließlich am Nachmittag auf dem Heimweg bin, andererseits sollte man die Vergangenheit aber auch ruhen lassen können.
Was ändert ihr gestriges Geständnis an unserem heutigen Verhältnis? Es schafft doch nur ein Ungleichgewicht, einen Vorwurf auf der einen, ein schlechtes Gewissen auf der anderen Seite. Es schafft peinliches Schweigen und Unsicherheiten. Ich finde, sie hätte es sich lieber verkneifen sollen. Wenn sie so lange geschwiegen hat – all die Jahre damals und dann die siebzehn, in denen wir uns nicht sahen – dann wäre es besser gewesen, es jetzt auch nicht mehr auszusprechen.
Finde ich. Ganz entschieden.
Trotzdem interessiert es mich, wie andere darüber denken.
Deswegen passt es ganz gut, dass Armin schon zu Hause ist, als ich auf dem Heimweg bei ihm schelle.
»Wo brennt’s denn?«, grinst er, als ich die Treppe heraufkomme.
»Du glaubst nicht, was gestern passiert ist!«, sage ich und weiß, dass ich nach so einer Ankündigung seine volle Aufmerksamkeit habe.
Deswegen erzähle ich ihm rasch den Ablauf des gestrigen Abends.
Doch anstelle in meine Theorie zum ehrenhaften Schweigen einzustimmen, grinst Armin nur breit.
»Das ist ja ein Ding! Du hast wirklich zu ihr gesagt, dass du nichts anfangen würdest mit einer, die mir von mich nicht unterscheiden kann?«
»Ja.« Ich klinge dabei ziemlich kläglich. Denn das ist die Stelle in dem Gespräch, die mir selbst bereits gestern Leid tat. »Was glaubst du, was hat sie gemeint mit diesem Spruch, dass es keinen Spaß macht, mit mir zu reden, solange ich nicht bereit bin, zu mir selbst ehrlich zu sein?«
Armin zuckt lächelnd die Achseln. »Wahrscheinlich hat sie
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