Emmas Story
gedacht, du verarschst sie. Schließlich glaubt niemand, der dich sieht, dass du voller Komplexe steckst.«
»Danke für deine werte Meinung«, brumme ich. »Du bist also der Ansicht, dass sie trotz ihres verspäteten Geständnisses durchaus salonfähig geblieben ist?«
Mein bester Freund hebt die Hände gen Himmel und lacht.
»Du bist ja so vergnügt«, stelle ich fest. Das ist eigentlich gar nicht zu übersehen. Seltsam, dass ich es nicht sofort in der ersten Sekunde bemerkt habe. Wahrscheinlich bin ich doch ein wenig arg mit den momentanen Ereignissen in meinem Leben beschäftigt.
Armin strahlt. »Rolf und ich fahren zusammen in Urlaub!« Passend zu dieser Ankündigung tänzelt er aus dem Zimmer und kommt mit einem quietschgrünen Hemd wieder herein. »Was hältst du davon? Hab ich grad bei H & M gekauft.«
»Chic«, sage ich und wiederhole langsam: »Ihr fahrt zusammen in Urlaub?«
»Du sagst es! Du hast mich gerade beim Packen erwischt.« Armin winkt mich heran. Und tatsächlich liegt auf seinem breiten Bett ein aufgeklappter Koffer, um den herum sich Unmengen an T-Shirts, kurzen und langen Hosen, Hemden, Kappen, leichten Jacken und Unterwäsche türmen.
Während ich staunend dort stehe, schwebt Armin durchs Zimmer, reißt hier und da Sachen aus dem Schrank, den Schubladen und der Kommode, um sie mehr oder weniger fahrlässig in dem riesigen Koffer zu verstauen oder einen der Berge auf dem Bett zu ergänzen.
Ich bin platt.
»Wie jetzt? Du und er? Urlaub? Wie lange?«
»Eine Woche!«, flötet Armin und wirbelt um mich herum. »Ist zwar nur Mallorca, also nicht gerade mein Traumreiseziel. Aber egal! Hauptsache wir sind zusammen!«
»Wie kommt das denn? Macht er offiziell eine Geschäftsreise oder was?«
Armin grinst. »Das wäre auch eine Möglichkeit. Aber nein. Es ist sein ganz normaler Urlaub. Der war eigentlich für die ganze Familie gebucht. Aber der kleine Schatz …«, er macht eine Pause, um einem imaginären Kind direkt vor ihm über den Kopf zu streichen, »hat sich leider im Kindergarten die Windpocken geholt. Jetzt kann Mutti nicht mit. Tja. Pech für Mutti!« Er lacht laut und zieht einen Pyjama aus der Schublade, betrachtet ihn einen Augenblick, murmelt: »Ach, brauch ich eh nicht in dieser Woche.« Und legt ihn wieder zurück.
Irgendwie habe ich plötzlich einen sehr bitteren Geschmack auf der Zunge.
Ich schlucke und schlucke, aber es ändert nichts.
»Was guckst du denn so verdattert?«, grinst Armin und wirft mir ein ungebügeltes, aber hoffentlich sauberes Hemd über den Kopf.
Ich ziehe den Stoff von meinem Gesicht und lächele etwas schief.
»Das freut mich für dich«, sage ich etwas lahm.
»Du brauchst keine Purzelbäume zu schlagen«, meint Armin vergnügt. »Das mache ich schon.«
Das sehe ich.
Und ich weiß nicht wieso, aber irgendwie fühle ich mich dabei plötzlich ganz jämmerlich.
Wir wissen doch beide, dass der Absturz nach der Woche Mallorca furchtbar sein wird. Wir wissen doch beide, dass Rolf auch nach sieben Tagen in den schwulen Flitterwochen seine Frau und Tochter nicht verlassen wird. Wir wissen beide, dass es im Grunde aussichtslos ist.
Das weiß Armin doch sicher auch, nicht wahr?
»Sag mal, kann es nicht sein, dass du auch in sie verliebt gewesen bist?«, fragt Armin da plötzlich, und ich verschlucke mich an meiner eigenen Spucke.
»Wie?«, bringe ich schließlich raus. »Ich? In Lu?«
Armin ist stehen geblieben und verknotet jetzt seine schlanken Finger ineinander. Die Aussicht auf die gemeinsame Woche mit Rolf lässt seinen ganzen Körper elastisch und biegsam werden.
»Der Gedanke ist mir schon öfter gekommen. Wenn man mal bedenkt, wie schwer dir das Coming-Out vor deinen Eltern gefallen ist, obwohl die doch total nett sind, und obwohl doch abzusehen war, dass sie prima reagieren würden. Trotzdem hast du dich ohne Ende gequält und …«
»Ja, schon gut!«, wehre ich ab. An diese unrühmliche Zeit werde ich nur ungern erinnert. Ich habe mich damals benommen wie eine verschreckte Sechsjährige. Aber ich hatte einfach furchtbare Angst. Dass ich den Erwartungen meiner Eltern nicht mehr entsprechen würde. Ich wusste, dass sie mich nicht aus dem Haus werfen oder verstoßen würden. Aber in mir zitterte und bangte dennoch alles, weil ich mir nächtelang ausmalte, wie sie mich mit distanzierten Blicken forschend betrachten würden, mich nur noch kühl und mit spürbarem Argwohn umarmen und alle Themen des privaten Lebens in unseren Gesprächen
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