Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Emotionen. Gefühle literarisch wirkungsvoll einsetzen

Emotionen. Gefühle literarisch wirkungsvoll einsetzen

Titel: Emotionen. Gefühle literarisch wirkungsvoll einsetzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Konrad
Vom Netzwerk:
wird diesen Themen nicht gerecht. Dies unterscheidet eine Tragödie vom Melodram: »Tragische Dichtung ruft Erschütterung hervor, weil sie Abgründe der menschlichen Existenz aufzeigt. Melodramen handeln von unglücklichen Zufällen, die man mit Rührung genießen kann, weil sie einen nicht wirklich betreffen.«
    Ist Vom Winde verweht (1936) von Margaret Mitchell eine Tragödie oder ein Melodram? Es hat Züge einer Tragödie, weil die Protagonistin durch ihre eigene psychische Konstitution daran gehindert wird, Erfüllung in der Liebe zu finden. Es hat aber auch Züge eines Melodrams, weil das Leben von Scarlett O‘Hara mit den amerikanischen Bürgerkriegswirren farbenprächtig verknüpft wird. Es ist in Deutschland eines der bekanntesten Bücher des 20. Jahrhunderts, wurde jedoch von der Literaturwissenschaft nicht als seriöses Werk anerkannt.
    Zum »Stoffkitsch« kann man Tipsys sonderbare Liebesgeschichte (1913) von Else Hueck-Dehio zählen, die in manchen Ausgaben als Eine Idylle aus dem alten Estland untertitelt ist. Die ganze Handlung ist fast märchenhaft: Ein Mädchen, Tipsy, verlebt eine glückliche Kindheit auf einem estnischen Gut und wächst langsam zu einer schönen, jungen Frau heran. Baron Hagen ist von dunkler Schönheit, aber leichtlebig. Er verliert sein Herz an das junge Mädchen und verändert sich in seiner Haltung, erweist sich als zuverlässig und übernimmt Verantwortung. Die Geschichte ist eine »Idylle«, weil das Erwachsenwerden für das junge Mädchen schön ist. Im Grunde bleibt die kindliche Geborgenheit erhalten; denn die Erzählerin deutet an, dass die Ehe glücklich wird.
    Ein Beispiel für »Formkitsch« ist das Gedicht »Schwarze Katze« von Rainer Maria Rilke, das etwa zeitgleich zu seinem berühmten Gedicht »Der Panther« entstanden ist. Hans-Dieter Gelfert stellt in seinem Buch Was ist Kitsch? die beiden Gedichte gegenüber.
    Schwarze Katze
    Ein Gespenst ist noch wie eine Stelle,
    dran dein Blick mit einem Klange stößt;
    aber da, an diesem schwarzen Felle
    wird dein stärkstes Schauen aufgelöst:
    wie ein Tobender, wenn er in vollster
    Raserei ins Schwarze stampft,
    jählings am benehmenden Gepolster
    einer Zelle aufhört und verdampft.
    Alle Blicke, die sie jemals trafen,
    scheint sie also an sich zu verhehlen,
    um darüber drohend und verdrossen
    zuzuschauen und damit zu schlafen.
    Doch auf einmal kehrt sie, wie geweckt,
    ihr Gesicht und mitten in das deine:
    und da triffst du deinen Blick im geelen
    Amber ihrer runden Augensteine
    unerwartet wieder: eingeschlossen
    wie ein ausgestorbenes Insekt.
    Zum Vergleich:
    Der Panther
    Im Jardin des Plantes, Paris
    Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
    so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
    Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
    und hinter tausend Stäben keine Welt.
    Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
    der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
    ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
    in der betäubt ein großer Wille steht.
    Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
    sich lautlos auf –. Dann geht ein Bild hinein,
    geht durch der Glieder angespannte Stille –
    und hört im Herzen auf zu sein.
    Beide Gedichte sind um 1902 entstanden und weisen formale Ähnlichkeiten auf. »Der Panther« ist jedoch von größerer Authentizität. Das Gedicht erfasst die Situation des Tieres in seinem Käfig im Jardin des Plantes. Die Emotionen unterdrücken die tragische Situation eher als sie zu betonen. Dennoch wird die Tragik deutlich – gerade durch die Mehrschichtigkeit der Ausdrücke. »…und hinter tausend Stäben keine Welt« lässt nicht nur die Assoziation an ein Gefängnis zu, sondern auch den Gedanken an den stumpf gewordenen Blick, der jenseits der Stäbe nichts mehr wahrnimmt.
    Anders ist es bei dem Gedicht »Schwarze Katze«. Hier sind die Formulierungen emotionsgeladen, ohne dass es der dahinterliegenden Aussageebene entspricht. Der Ausdruck »im geelen Amber ihrer runden Augensteine« ist schwülstig und übertrieben. Der Schlusssatz »eingeschlossen wie ein ausgestorbenes Insekt« wirkt wie eine schlechte Kopie des Schlusssatzes des obigen Gedichtes: »…und hört im Herzen auf zu sein.«
    Die Grenzen zwischen Texten, die stark an Emotionen appellieren, und kitschigen Texten sind fließend. Die Meinungen der Leser, ob originäre Emotionen angesprochen oder ob ihnen Gefühlsschablonen angeboten werden, können verschieden sein. Was der eine als abgedroschen empfindet, mag ein anderer als

Weitere Kostenlose Bücher