Emotionen. Gefühle literarisch wirkungsvoll einsetzen
Schluss nicht, dass sich hinter ihrem Internetfreund NY 152 ihr Konkurrent und Gegner Joe Fox verbirgt, in den sie sich zwischenzeitlich allerdings verliebt hat. Ihm wird früher klar, dass seine Internetpartnerin »Shopgirl« und Kathleen ein und dieselbe Person sind. Als er sie in der Schlussszene mit »Don’t cry, Shopgirl« anspricht und somit ihren Nicknamen ausspricht und das Erkennen zeigt, wirkt dies auf die Zuschauer bewegend. Ihre Antwort »I wanted it to be you« drückt aus, wie erleichtert sie ist, dass sich hinter ihrem Internetfreund Joe Fox verbirgt. In beiden Filmbeispielen drücken die Worte etwas Verbindendes aus, ein (Wieder-)erkennen, etwas Vertrautes, das hinter der Fassade des Fremden überraschend und erlösend aufscheint. Anstelle von Worten können auch Gesten stehen, wie der geradezu poetische Moment als in dem Film Lost in Translation Bill Murray den Fuß der schlafenden Scarlett Johanssen berührt.
Musikalische Motive können Gefühle hervorrufen, zum Beispiel, wenn ein bestimmtes Lied, das ein Protagonist in einem schönen Augenblick gehört hat, in einer schweren Stunde wieder erklingt und dann noch einmal, wenn die Geschichte ihrer Auflösung zustrebt. Oder die Musik in David Lynchs Filmen von Angelo Badalementi, der sich darüber äußerte: »Die Musik hat immer einen Bezug zu der Unschuld in solchen Szenen. Sie arbeitet immer gegen das, was eigentlich tatsächlich passiert. Insofern spielt sie eine enorm wichtige Rolle. Ich denke, wir beide, David und ich, arbeiten musikalisch gern gegen das, was zu sehen ist. Bei all den Konflikten, der Gewalt und der Rohheit ist die Musik der totale Gegensatz zu dem, was gerade vorgeht. Für mich ist das sehr aussagekräftig, weil es die Gegensätze, die Positionen deutlich macht.«
Auch Erzählmotive erhöhen die emotionale Spannung. In dem zweibändigen Roman Heidi von Johanna Spyri (1880/81) wirkt das Motiv, dass die an den Rollstuhl gefesselte Clara in der gesunden Berglandschaft wieder laufen lernt, stark emotionalisierend. Wenn ein geheimer, lang gehegter Wunsch auf überraschende Weise Erfüllung findet oder wenn sich in einer scheinbar ausweglosen Situation plötzlich eine Lösung andeutet, dann werden Gefühle geweckt.
Um Gefühle zu erzeugen, werden immer wieder vertraute Gefühlsschablonen verwendet. Solche Erzählmotive können sein:
•Mutterliebe: Eltern und Kinder geben sich nach einem langen Konflikt einen Liebesbeweis.
•Mitleid: Jemand zeigt einem unglücklichen Menschen Mitgefühl.
•Versöhnung: Ein Partner macht eine unerwartete Versöhnungsgeste.
•Wahrheit: Nach langen Lügen verrät ein Mensch den Betroffenen endlich die Wahrheit.
•Geschenk: Jemand erhält überraschend ein Geschenk, das er sich schon lange gewünscht hat.
•Scheitern und Erfolg: Ein begabter Mensch droht in seinem Projekt zu scheitern, hat aber am Ende doch noch Erfolg.
Anregung
Gefühlsschablonen einsetzen
1.Können Sie einem Text, den Sie bereits 0geschrieben haben, zusätzliche Spannung verleihen, indem Sie ein solches Motiv hinzufügen?
2.Versuchen Sie eine kleine Geschichte zu schreiben, in der einem einzelnen Wort eine Funktion des Leitmotivs zukommt.
5. Einzelne Motive
Erzählende Texte leben von Emotionen, sie bestimmen die Atmosphäre eines Werkes, seine Charaktere und ihre Handlungen. Selbst wenn unterschiedliche Arten von Gefühlen eingesetzt werden, gibt es meist einen emotionalen Schwerpunkt. Als Autor entscheiden Sie, welchen Rang Sie den einzelnen Emotionen zumessen. Vielleicht erkennen Sie auch, dass Sie eine Vorliebe für bestimmte Gefühlsarten haben, und möchten dies in einem künftigen Werk ändern? Oder Sie wollen über Gefühle schreiben, die Sie selbst noch nicht so intensiv erlebt haben, wie Sie Ihr Protagonist durchleben soll? Deshalb hier einige Beispiele aus der Literatur, die Ihnen einen Überblick über die Vielfalt emotionaler Schwerpunkte vermitteln sollen.
Liebe
Liebe ist mehr als ein Gefühl. Sie kann Emotionen wie Freude, Begeisterung, Sehnsucht, aber auch Trauer, Groll und Verzweiflung auslösen. Seit Jahrtausenden werden in der Literatur Liebesbeziehungen beschrieben, und jede Epoche sucht dazu nach neuen Formen. Im Mittelalter gehörte die Liebe zu Gott zum Leben und zeigte sich als Konflikt zwischen dem Wunsch nach persönlicher Liebeserfüllung und den Geboten der Kirche. Es wurde stets nach einer Vermittlung zwischen beiden gesucht. Dazu gehörten die Bereitschaft zu Demut und sogar Armut und
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