Empty Mile
getötet hätte.
Ich erzählte ihm alles, was ich herausgefunden hatte und was ich daraus schloss. Er hörte zu, unterbrach mich nicht, und als ich fertig war, sagte er den ganzen Tag kein Wort mehr.
Ich brachte ihn die Wiese hinauf zu seinem Wohnwagen. Er bewegte sich, als wäre er völlig steif gefroren. Er schien nichts um sich herum wahrzunehmen, und er stolperte mehrmals über Steine oder Erdschollen. Rosie nahm ihn in Empfang, als ich die Tür öffnete. Sie führte ihn ins halbdunkle Innere des Wohnwagens. Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, starrte ich sie mehrere Minuten lang an. Dann ging ich in die Blockhütte, setzte mich zu Marla an den Küchentisch und erzählte ihr, wie ich wieder einmal Leid über einen Menschen gebracht hatte, den ich liebte.
Gareth besaß immerhin so viel Anstand, sich eine Woche lang nicht in Empty Mile sehen zu lassen. Ich verbrachte die Zeit damit, dass ich auf der Treppe saß und über die Wiese blickte oder die wenigen Schritte zu Stans Wohnwagen ging und nach ihm sah. Er hockte den ganzen Tag mit leerem Blick vor dem Fernseher und sah Kindersendungen oder lag im Bett und döste. Wenn ich versuchte, ihn zu wecken, sah er mich verträumt an und fragte, ob mit mir alles in Ordnung wäre, bevor er die Augen wieder zumachte.
Ich überlegte, dass ich ihm psychologische Hilfe besorgen müsste. Aber ich hatte keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte, ohne dass die ganze Sache mit Jeremy Tripp ans Licht kam. Ich war völlig ratlos. Mir war klar, wie miserabel Stan sich fühlen musste. Jeder wäre unter der Bürde des Wissens zusammengebrochen, dass er einen geliebten Menschen dazu gebracht hatte, einen Mord zu begehen. Aber Stan, der so wenig Erfahrung mit den komplizierten Emotionen Erwachsener hatte, der ihre Taten so wenig intellektuell zu rechtfertigen wusste, würde daran zugrunde gehen.
Dass er Seelenqualen litt, war schlimm genug, aber viel schwerer wog für mich das Wissen, dass Stan noch immer unbeschwert das Glück seiner Flitterwochen genießen könnte, wenn ich nicht den Kopf verloren und Gareth derart provoziert hätte. Aber ich
hatte
den Kopf verloren und dadurch Stan mit meiner persönlichen Krankheit angesteckt. Ich hatte ihn mit der schrecklichen Seuche der Schuld infiziert.
Als Gareth eines Morgens in aller Frühe in Empty Mile auftauchte, kam er nicht zum Frühstück herein, so wie früher, sondern rief von draußen, dass er wieder an der Rinne arbeiten würde, und ging, ohne auf eine Antwort zu warten, zum Fluss.
Inzwischen hatte sich Stan wieder ein wenig gefangen und saß nachmittags wegen des kühlen Wetters dick eingemummt vor dem Wohnwagen oder ging mit Rosie im hohen Gras spazieren, redete leise mit ihr und hielt ihre Hand. Weder er noch ich waren unten am Fluss gewesen seit dem Vorfall mit Gareth, und Stan hatte zwischen sich und dem Rest der Welt eine derart hohe Barriere errichtet, dass ich wusste, seine Zeit der Goldsuche war endgültig vorüber.
Was mich anbetraf, ich konnte unmöglich weiter mit Gareth zusammenarbeiten. Wir hatten einen Punkt erreicht, an dem diese unheilige Partnerschaft nicht mehr bestehen sollte.
Am späten Vormittag zog ich einen dicken Mantel an und ging zum Fluss hinunter. Gareth arbeitete mit verkniffenem und wütendem Gesicht an einer Rinne.
»Johnny. Schön, dass du endlich den Arsch hochkriegst.«
»Ich bin nicht zum Arbeiten hier.«
Gareth stützte sich auf seine Schaufel. »Was?«
»Ich will fortgehen. Mir liegt nichts mehr an dem Gold. Ich möchte das Land an eine Bergbaugesellschaft verkaufen. Du kannst die Hälfte von dem haben, was wir dafür bekommen.«
»Auf gar keinen Fall. Wir verkaufen nicht. Die Typen bezahlen uns einen Bruchteil dessen, was das Land wert ist, wie du sehr wohl weißt. Die sehen uns kommen und ficken uns in den Arsch, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Nein, wir schürfen schön so weiter wie bisher. Du reißt dich gefälligst zusammen, und Marla kommt vielleicht auch mal wieder aus der Scheißblockhütte raus und sagt Hallo. Und da wir gerade beim Thema sind, Johnny, es gibt noch mehr, was Marla tun könnte.«
»Was redest du da?«
»Angesichts unserer Vorgeschichte, wie wir zusammen angefangen haben, und da wir jetzt wieder alle zusammen sind …«
»Wir sind nicht ›wieder alle zusammen‹.«
»… wo wir wieder alle zusammen sind, denke ich, wir sollten uns Marla teilen. Ich besitze einen Anteil an dem Land, Alter, ich sollte auch einen
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