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Empty Mile

Empty Mile

Titel: Empty Mile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Stokoe
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waren.
    »Wenn du keine Falter hast, wie willst du da die Kraft rüberbringen?«
    Stan nahm die Tüte und hielt sie vor das Feuer. Einen Moment sah er zu, wie die Falter darin herumkrabbelten, dann gab er sie mir zurück.
    »Ich will sie nicht. Ich will keine Kraft mehr rüberbringen.«
    »Warum nicht?«
    »Weil alles ganz falsch ist.«
    »Hilft die Kraft nicht dagegen?«
    Stan atmete ein und aus und schüttelte den Kopf.
    »Hör zu, Stan. Du hast ein Feuer gelegt, weil du wütend warst. Und du hast es getan, weil Jeremy Tripp etwas Schlimmes mit Rosie gemacht hat. Das ist alles. Alles andere hat nichts mit dir zu tun.«
    »Du musst ins Gefängnis.«
    »Ich muss nicht ins Gefängnis, das habe ich dir doch gesagt. Mir passiert schon nichts.«
    Stan wandte sich von mir ab und sah ins Feuer. »Doch, Johnny.«
    »Stan …«
    »Doch.«
    In der Nacht froren wir in dem Zelt. Wir lagen vollständig bekleidet in den Schlafsäcken und atmeten Dunst gegen die Zeltwände, und ich erzählte Stan alle Geschichten, an die ich mich aus unserer Kindheit erinnerte, all die kleinen, alltäglichen Ereignisse, die wir als Brüder in einer Familie zusammen erlebt hatten. Ich wollte, dass er lachte, wollte ihn daran erinnern, wie es war, sorglos zu sein. Aber meine Geschichten erinnerten ihn offenbar nicht an die gute alte Zeit, sondern führten ihm umso deutlicher vor Augen, was er verloren hatte.
    Am Morgen bedeckte Frost den Boden. Stan und ich standen neben dem erloschenen Lagerfeuer, während die Sonne das Land um uns herum in satten Gelb- und Blautönen malte. Nach dem erholsamen Schlaf gelang es Stan für kurze Zeit, die malerische Landschaft ringsum zu bewundern, ohne an die traurigen Ereignisse zu denken, die seine Welt gerade zum Einsturz brachten. Er stand da, blickte sich schweigend um, atmete, und ich sah wieder diesen sanften, tapferen Ausdruck in seinen Augen, den ich an ihm so mochte.
    »Johnny, glaubst du, es wäre besser, wenn man so leben könnte? Wenn man nichts machen müsste, nur sein Essen kochen, schlafen, im Wald sein, und keine anderen Menschen zu sehen bräuchte?«
    »Ja, das glaube ich.«
    Stan nickte. »Ja …«
    Er ging zum Rand des Felsplateaus, setzte sich hin, zog die Knie unter das Kinn und betrachtete die Landschaft. Ich entfachte das Feuer neu, machte Kaffee und backte uns Pfannkuchen. Ich ging davon aus, dass Stan kommen würde, wenn er das Essen roch, aber er bewegte sich nicht. Als ich ihn rief, drehte er sich nur zu mir um, lächelte und rief zurück: »Ich bleibe einfach hier sitzen, okay?«
    Er saß lange Zeit dort. So lange, dass ich allein das Zelt abbauen und den Rest unserer Sachen zusammenpacken musste. Ich wusste, es tat ihm gut, daher ließ ich ihn so lange wie möglich in Ruhe, doch wir hatten nichts mehr zu essen, und allmählich machte es mich nervös, dass ich nicht bei Marla war, daher musste ich ihm schließlich gegen Mittag sagen, dass es Zeit wäre, aufzubrechen.
    Er kam vom Rand des Felsplateaus zurück und betrachtete die zusammengepackte Campingausrüstung.
    »Wir sollten weglaufen, Johnny. Mit Marla und Rosie. Ein anderes Zelt holen und einfach im Wald verschwinden, wo Gareth uns nicht findet.«
    Einen Moment stand er so da und sah sich um, dann seufzte er, bückte sich und schnappte sich Teile der Ausrüstung.
    Als wir nach Hause kamen, saß Rosie vor dem Wohnwagen und hörte leise die Musik, zu der sie so gern tanzte. Sie hatte auf Stans Rückkehr gewartet und stand auf, als sie ihn sah, hielt wie immer den Kopf gesenkt, streckte aber die Hand nach ihm aus. Stan ergriff sie, gab Rosie einen Kuss und folgte ihr in den Wohnwagen. Im Vorbeigehen schaltete er die tragbare Stereoanlage aus.
    Als sie fort waren, betrachtete ich meine Blockhütte, den Platz davor, meinen Pick-up und Marlas Auto, den Weg, der zur Straße führte … und wurde das unbehagliche Gefühl nicht los, dass Stan recht hatte und es besser gewesen wäre, in die Wälder zu flüchten.

[zurück]
    Kapitel Fünfunddreißig
    Am nächsten Tag, früh am Morgen, brach die Welt für uns vier in Empty Mile endgültig zusammen. Fünf, wenn man Gareth mitzählt.
    Marla und ich warteten auf der vorderen Veranda darauf, dass er eintraf und seine Arbeit am Fluss begann. Stan und Rosie waren zum Frühstück bei uns gewesen und saßen in der Küche am Tisch. Stan stocherte in einem Teller Rührei, Rosie, die nichts aß, trank schwarzen Kaffee.
    Ich fühlte mich ängstlich, resigniert und aufgekratzt zugleich. Ich weiß nicht,

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