Empty Mile
und eine Tube Gleitgel. Die beiden anderen waren leer.
Ich machte die Schubladen gerade wieder zu, als ich ein Auto in die Einfahrt fahren hörte. Wenn es Marla war, sollte unsere erste Begegnung nicht so ablaufen. Wenn es jemand anders war, wollte ich erst recht nicht im Haus erwischt werden. Ich rannte aus dem Zimmer und über den kurzen Flur in die Küche. Dort führte eine Hintertür in einen kleinen Garten. Ich schob den Riegel zurück und wartete fluchtbereit. Da das Haus so klein war, musste ich warten, bis der Neuankömmling die Eingangstür geöffnet hatte und eingetreten war, wenn auch nur die geringste Chance bestehen sollte, dass ich unbemerkt entkam. In dem Moment, wenn der andere eintrat, würde ich an der Seite des Hauses entlang nach vorn und auf die Straße flitzen. Und hoffen, dass, wer immer auch da gekommen sein mochte, nicht gerade in diesem Moment zum Fenster hinaussah.
Eine Minute verging, und ich hörte weder Schritte auf der Veranda noch einen Schlüssel im Schloss. Da kam mir der Gedanke, dass der Autofahrer Marlas Einfahrt möglicherweise nur zum Wenden benutzt hatte.
Ich zog die Hintertür wieder ins Schloss und verfluchte mich für dieses absurde widerrechtliche Eindringen. Ich ging aus der Küche und schlich den Flur entlang zum Wohnzimmer. Dort waren die Vorhänge glücklicherweise halb zugezogen; wenn ich mich dicht an der Wand hielt, konnte ich das Zimmer durchqueren und – ohne mich selbst zu zeigen – in einem Winkel zum Fenster hinausschauen, der mir den größten Teil des Grundstücks zeigte.
Das Geräusch, das ich gehört hatte, war nicht das eines wendenden Autos gewesen. In dem olivfarbenen Mercedes saß die Frau, die ich heute Morgen in der Kantine kennengelernt hatte – Patricia Prentice, die nervöse, unglückliche Frau von Stans Boss –, und rauchte eine Zigarette. Noch während ich sie beobachtete, fuhr ein zweites Auto auf das Grundstück und parkte ebenfalls.
Meine Mutter starb bei einem Autounfall, als ich sechzehn war, und von diesem Tag an, bis ich Oakridge verließ, hatte ich meinen Vater nie mit einer anderen Frau gesehen. Er hatte meine Mutter auf seine distanzierte, verschlossene Weise geliebt, und ich dachte mir immer, ein seltsames Ehrgefühl hinderte ihn daran, sich nach einer anderen umzusehen. Jetzt schien es, als hätten acht weitere Jahre ohne Frau dieses Ehrgefühl ein wenig abgenutzt, denn das zweite Auto war seines, und er hielt Patricia inzwischen in den Armen, strich ihr über die Brust und ließ die andere Hand zu ihrem Po gleiten.
Es war schockierend anzusehen, dass er eine andere Frau so intim berührte. Das lag so weit außerhalb meiner Erfahrungen mit ihm, dass ich mir vorkam, als würde ich ihm, nur weil ich Zeuge davon wurde, etwas stehlen, einen emotional aufgeladenen Besitz, von dem einzig und allein er etwas wissen sollte.
Mir blieb allerdings keine Zeit für Schuldgefühle, denn der Kuss und die Berührung endeten, und dann gingen Patricia und mein Vater auf die Veranda zu. Ich stahl mich durch den Flur zur Küche und blieb an der Hintertür stehen, bis ich den Schlüssel und Schritte auf dem Flur hörte. Dann rannte ich gebückt in den Garten, um die Ecke und seitlich am Haus entlang. Einen Moment blieb ich im Vorgarten stehen und sondierte die Stelle, wo die Autos parkten, aber es war niemand zu sehen; mein Vater und Patricia waren im Haus, die Tür fest geschlossen. Ich schritt hastig zur Straße und zurück zu meinem Wagen.
Als ich wegfuhr, kam mir die beunruhigende Erkenntnis, dass der getrocknete Samen, den ich auf den dunklen Bettlaken gesehen hatte, der meines Vaters sein musste.
Die Halle, wo Stan tanzte, erwies sich als recht spartanisch –Holzdielen, an einem Ende eine Bühne ohne Vorhang, ein Klavier und mehrere Stapel orangerote Plastikstühle in einer Ecke. Fast alle Anwesenden waren um die sechzig oder siebzig, und ich fragte mich, ob es sich hier tatsächlich um einen Tanzkurs handelte oder nicht eher um einen öffentlichen Seniorentreff.
Ich stand an der Tür und verfolgte den letzten Tanz des Nachmittags. Aus einer tragbaren Stereoanlage auf dem Klavier tönten lateinamerikanisch angehauchte Klänge. Es wurde offensichtlich Cha-Cha-Cha geübt. Bei den meisten war es in der Tat nicht mehr als »üben«. Sie absolvierten ihre Schritte unsicher, blieben häufig stehen und diskutierten darüber, welcher Schritt als Nächstes kam. Stan und seine Partnerin spielten dagegen in einer ganz anderen Liga.
Er
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