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Empty Mile

Empty Mile

Titel: Empty Mile Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthew Stokoe
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Zurückhaltung gelockert, denn er plauderte ungezwungen, seine Körpersprache wirkte entspannt und offen. Es war ein magischer Augenblick. Einer von so wenigen in meinem Leben, wenn er den Panzer der Vaterrolle abgelegt hatte und zuließ, dass er eins mit seinen Kindern wurde.
    Wir unterhielten uns eine Weile über dies und das. Mein Vater erzählte altvertraute Anekdoten, die jede Familie kennt, von häuslichen Aktivitäten, die aus diesem oder jenem Grund völlig in die Hose gehen, um im Lauf der Zeit zu einer unerschöpflichen Quelle der Heiterkeit zu werden. Sie kreisten um Stan und mich, sie kreisten um meinen Vater, und wir lachten alle drei herzlich über die Rollen, die wir darin spielten. Für alle anderen wären sie vermutlich langweilig gewesen. Für uns lag ihre Bedeutung jedoch nicht im Inhalt, sondern darin, wie sie uns vor Augen führten, dass wir Vater und Sohn und Bruder waren.
    In einer Gesprächspause räusperte sich mein Vater, zog mit verlegener Miene zwei in Geschenkpapier eingeschlagene Päckchen aus der Tasche und legte sie vor uns auf den Tisch.
    »Ich … ich wollte euch beiden etwas geben.«
    Stan klatschte in die Hände, dann runzelte er die Stirn. »Niemand hat Geburtstag, Dad.«
    »Ich weiß, aber ihr sollt wissen, wie viel ihr mir bedeutet.« Er sprach stockend, und ich spürte fast, wie er sich innerlich wand. »Ich war wohl nie ein besonders guter Vater und habe vieles nicht gesagt oder getan, das notwendig gewesen wäre. Darum wollte ich euch etwas geben, das ihr behalten könnt, falls … na ja, falls ihr irgendwann mal zweifeln solltet, wie ich empfinde.«
    Stan und ich sahen ihn sprachlos an. Wir waren wie vom Donner gerührt. Ich glaube, in gewisser Weise bekamen wir es fast mit der Angst zu tun. So eine Ansage hatten wir sonst nur zu hören bekommen, wenn es im Folgenden um irgendwas Dramatisches ging – ein Erdbeben oder eine gerade verhängte Todesstrafe.
    Wir öffneten unsere Geschenke. Meins war eine Uhr der Marke Tag Heuer mit einer Gravur auf der Rückseite:
Für John, von Dad.
Das war bei Weitem das Teuerste, das er mir je geschenkt hatte; mehr noch, es war ausgesprochen geschmackvoll ausgesucht. Auf der anderen Seite des Tischs zog Stan eine Goldkette aus dem zerrissenen Geschenkpapier. Er hielt sie ins Licht.
    »Die ist wunderschön, Dad. Sieh mal, Johnny.« Stan legte die Kette um den Hals und strich darüber. »Super.«
    Mein Vater lachte nervös. »Freut mich, dass sie dir gefällt, Stan. Gefällt dir deine Uhr, John?«
    »Sie ist fantastisch. Danke, Dad.«
    »Die sollte ein Leben lang halten.«
    »Sie muss teuer gewesen sein.«
    »Mach dir darüber keine Gedanken. Ich wollte euch nur etwas geben, das euch daran erinnert, dass ich euch sehr gern habe, auch wenn ich das nicht immer so zeige.«
    Einen Moment vermieden wir jeglichen Blickkontakt, und da spürte ich eine kalte Traurigkeit in mir. Ich wusste, seine Gefühle waren aufrichtig, er empfand wirklich, was er sagte. Es war einfach so, dass seine Gefühle nicht tief genug gingen. An diesem magischen, denkwürdigen Abend begriff ich die schreckliche Wahrheit – selbst in seinen intimsten Augenblicken, wenn er sich größte Mühe gab, seiner Zuneigung für mich Ausdruck zu verleihen, brachte er es nicht über sich, dieses letzte Quäntchen Zurückhaltung zu überwinden, das es ihm möglich gemacht hätte, »lieb« statt »gern« zu sagen, diesen Teil in ihm, der mir immer noch die Schuld daran gab, was mit Stan geschehen war.
    Doch obwohl seinen Gefühlsbekundungen dieser Makel anhaftete, überlegte ich mir, dass es vermutlich keinen günstigeren Zeitpunkt geben würde, ihm von Plantasaurus zu erzählen.
    »Äh, Dad, weißt du, dass das Gartenzentrum geschlossen wurde und Stan keinen Job mehr hat?«
    »Ja, das ist ein Jammer.«
    »Also, wir glauben, dass wir gemeinsam eine Firma eröffnen sollten. Eigentlich haben wir das schon.«
    »Tatsächlich?«
    Stan und ich erzählten ihm alles über Plantasaurus, über unsere Pläne und die ersten Schritte, die wir unternommen hatten. Als wir fertig waren, folgte nicht die wortreiche Kritik, die ich erwartet hatte, kein Vortrag darüber, wie töricht und verantwortungslos es wäre, Stan in ein solches Geschäft hineinzuziehen; stattdessen nickte er nur und sagte verständnisvoll: »Das hört sich nach einer tollen Idee an. Ihr Jungs solltet eure Träume verwirklichen. Ich hoffe, es wird ein großer Erfolg.«
    Nach dem Essen sah Stan nicht fern, sondern blieb am Tisch

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