Empty Mile
Gold gewesen sein – Nachrichten von ihrem Ehemann, der womöglich Tausende Meilen entfernt weilte, ein vielleicht lang ersehntes Zeichen, dass er noch lebte. Als ich die zärtlichen Worte las, die Schilderungen seines Gesundheitszustandes, seine Hoffnung, dass er seine Frau wiedersehen würde, noch ehe ein Jahr vergangen wäre, wurde mir erst bewusst, wie unglaublich einsam viele der Männer gewesen sein mussten, die sich auf die Suche nach Gold begeben hatten.
Ich fand den Hinweis, den Reynolds erwähnt hatte, im letzten Drittel des Briefes. Nur wenige Zeilen am Ende einer kurzen Beschreibung der jüngsten Reisen des Mannes.
Heute schlug ich mein Lager an einer Stelle auf, die die Prospektoren nur noch Empty Mile nennen, so gründlich wurde sie leer geschürft. Die Männer hier munkeln, dass Chinesen die Gegend vor uns ausgebeutet haben müssen.
Der Brief war auf den 29 . Mai 1849 datiert, fast zwei Monate nachdem Nathaniel Bletcher an derselben Stelle gesucht hatte.
Ich wusste, dass Bletchers Tagebuch für Reynolds ein bedeutender Fund sein musste. Aber bis ich das Rätsel von Empty Mile nicht selbst gelöst und ich mich zweifelsfrei davon überzeugt hatte, dass das Land wertlos war, wollte ich dieses eine historische Detail, das offenbar nur ich kannte, mit niemand anderem teilen. Ich gab ihm den Brief des Goldsuchers zurück.
»Chinesen?«
»Es ist bekannt, dass die Chinesen damals Claims übernahmen, die offenkundig schon geplündert und aufgegeben worden waren. Im Grunde genommen durchsiebten sie den Abraum noch einmal. Abraum ist das, was nach dem Waschen weggeworfen wurde – Erde, Kies, Sand und so weiter. Kaum Gold. Aber für die Chinesen lohnte es sich offenbar noch. Sie arbeiteten in größeren Gruppen, daher siebten sie in der gleichen Zeit mehr Sand. Und sie begnügten sich damit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, und jagten nicht dem goldenen Hauptgewinn hinterher.« Reynolds klopfte auf den Brief des Goldsuchers. »Dieser Bursche will damit sagen, wenn eine Gruppe Chinesen diese Stelle namens Empty Mile als Erste gefunden hätte, dann hätte sie den Sand ebenso gründlich durchgearbeitet wie den Abraum. Infolgedessen wäre der Fluss sehr viel ärmer an Gold gewesen, als wenn andere sich daran versucht hätten.«
»Glauben Sie, dass es so gewesen ist?«
»Ich halte es für ebenso wahrscheinlich, dass es keine Chinesen waren. Die Prospektoren, die später dort eintrafen, waren einfach ziemlich frustriert.« Er sah auf die Uhr. »Wissen Sie, Ray hat mich auch nach Empty Mile gefragt. Vielleicht vor vier, fünf Monaten.«
»Was wollte er wissen?«
»Wann dort das erste Mal geschürft wurde. Er war diesbezüglich ziemlich hartnäckig, als müsste er unbedingt ganz genau wissen, wann die ersten Goldsucher hier eintrafen. Er kam eines Tages nach einem Treffen mit Gareth Rogers hierher.«
»Echt? Mit Gareth?«
»Ich weiß, was Sie meinen. Ein seltsames Paar. Ihr Vater kam jahrelang her. Doch Gareth hat uns nur sehr sporadisch beehrt. Ich glaube, er trat vor sechs Monaten bei, kam zu ein paar Treffen und blieb dann weg. Ich habe ihn seit drei Monaten nicht mehr gesehen. Aber Ray kam regelmäßig, bis …« Chris schien verlegen zu sein, weil er das Verschwinden meines Vaters angesprochen hatte, und fuhr hastig fort. »Sie schienen jedenfalls ein gemeinsames Interesse an Empty Mile zu haben. Immerhin ist der Swallow der Grund für Oakridges Berühmtheit im Goldrausch.«
»Was haben Sie den beiden gesagt?«
»Ich habe ihnen den Brief gezeigt.« Reynolds sah wieder auf die Uhr und stand auf. »Zeit für das Treffen. Bleiben Sie?«
Ich sah, dass Marla gehen wollte, und war auch nicht gerade erpicht darauf, auf einem harten Stuhl zu sitzen und einer Bande von armen Irren zuzuhören, wie sie Gold finden wollten, daher entschuldigte ich mich und sagte, dass wir einen Termin hätten. Reynolds wirkte enttäuscht, als hätte er schon gehofft, in uns potenzielle neue Mitglieder begrüßen zu dürfen.
Als Marla und ich gerade gehen wollten, öffnete Reynolds eine Schublade an seinem Schreibtisch und zog ein Tagebuch mit blauem Einband heraus. Er blätterte ein paar Seiten um und gab einen Laut von sich, als er fand, was er suchte.
»Ich weiß nicht, ob es weiterhilft, aber ich erinnere mich, dass Ray – und Gareth auch – besonderes Interesse für einen Vortrag zeigte, der zu der Zeit gehalten wurde. Beim Treffen nächste Woche wird er noch einmal gehalten, falls es Sie interessiert.
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