Ende einer Welt
bedacht, daß ihr Lauf gleichmäßig
bliebe. Nachdem sie die ganze Strecke achtundzwanzigmal vollendet
hatten, nahmen sie atemlos wieder ihre Plätze ein, und nun war
an den Nächstliegenden die Reihe, die Bahn der Sonne und des
Mondes während eines Monats zu versinnbildlichen.
Ein Jahr wurde auf diese Weise beschrieben. Als sie
innehielten, war es schon Mitternacht.
Nach einer kurzen Ruhe begannen sie den heiligen Tanz, der die
Bewegungen des großen Ahnen nachahmte. Zuerst wiegten sie, auf
allen Vieren, den Kopf bald nach rechts, bald nach links. Dann sprangen
sie auf und kamen mit dumpfem Brummen aufeinander zu. Manchmal
ertönten Schreie, man wußte nicht woher. Sie achteten
ihrer nicht. Sie tanzten und hatten die Zeit vergessen, ihre
Müdigkeit, ihr dreitägiges Fasten und die
Prüfungen, die sie noch zu bestehen hatten. Sie
bemühten sich, alle Bewegungen des Bären getreu
nachzumachen, seinen Gang, seine Haltung. Durch die Wesenstreue ihrer
Gebärden hielten sie sich schließlich wirklich
für Bären.
Schon zeigte sich der Morgenstern. Der Weise gebot ihnen
Einhalt. Sie sanken zu Boden und lagen nun in zwei Reihen geordnet, das
Gesicht aufwärts gekehrt, so starr und unbeweglich,
daß man hätte glauben können, sie seien tot.
Dum ... Dum... Dum ...
Was tönt so dumpf an Nos Ohr? Seine Augen betrachten
den Himmel, der schon bleich zu schimmern beginnt.
... Dum ... Dum ... Dum ...
Ist's der fiebernde Pulsschlag, der so hämmernd
dröhnt? Mühevoll wendet No den schweren Kopf. Seine
Gefährten liegen neben ihm gereiht und bewegen sich kaum.
Feierliche Stille herrscht. No fürchtet sich.
Und da kommt es auf ihn zu, ein Gespenst, aus den fliehenden
Schatten der Nacht geboren. Schwarz von Antlitz, Augen, die bis zu den
Ohren reichen, ein weitgeöffneter Mund, der das ganze Gesicht
beherrscht ... Bis zum Gürtel fällt der Bart...
Es schwingt ein Stück ausgehöhlten Holzes in
seiner Hand, ein Fell ist darübergespannt. Darauf
schlägt es mit einem Pferdeknochen.
... Dum ... Dum ... Dum ...
So schlägt es seine Trommel und mit ruckweisen
Bewegungen umkreist es die Reihe der Liegenden. Jetzt beschleunigt es
seine Schritte, es hüpft, es ist beinahe ein Tanz. Und nach
jedem Schlag auf das Fell folgt ein kräftigerer auf die Brust
des nächstliegenden Jünglings.
Dum ... tönt dumpf die Trommel.. . Dum ...
tönt dumpfer noch die getroffene Brust. Doch kein Muskel am
Körper zittert. Sind es Tote, die das Gespenst martert?
Viermal macht es die Runde, viermal schlägt es.
... Dum ... Dum ... Dum ...
Und es verschwindet.
Reglosigkeit, Stille. Selbst Seufzen ist verboten.
Was naht jetzt von einem anderen Felsen? Ein Geist der
Unterwelt. Wie ein spitzes Dreieck wächst sein Kopf aus der
Brust empor. Sein Schädel trägt zwei knotige
Hörner des Steinbocks, ein Mosaik von schwarzweißen
Würfeln stellt sein Gesicht dar. Dieser Dämon
schwingt eine Gerte, deren enggegabeltes Ende feurige Glut
umfaßt.
Er tanzt durch die Reihe der erstarrten Leiber. Und
plötzlich fährt seine feurige Gerte auf die rechte
Schulter Nos nieder. Das Fleisch zischt. Doch der tapfere No
läßt keinen Laut hören. Hat er die
Brandwunde wohl überhaupt verspürt?
Nach und nach erhält jeder der Jünglinge
sein brennendes Zeichen. Und ein zweites Mal tanzt der Dämon,
und ein zweites Mal werden die Reglosen – jetzt links
– gezeichnet. Geräuschlos verschwindet er in den
Felsen, aus denen er aufgetaucht war.
Die Zeit enteilt wie das Wasser des Flusses.
Eine formlose Gestalt erscheint. Zu jedem der Liegenden neigt
sie sich nieder, und eine Stimme, die keinem menschlichen Wesen
angehören kann, spricht: »Jetzt kommt das
Sterben.«
Und sich noch tiefer neigend, ritzt sie mit einem scharfen
Stein über den Hals des Reglosen, an jener Stelle, wo die
Jäger einem in der Falle gefangenen Wild den Hals
durchschneiden. Das Blut quillt hervor. Aus einem
Holzgefäß träufelt die Erscheinung dem
Jüngling eine bittere Flüssigkeit in die Kehle.
»Jetzt kommt das Sterben«, wiederholt sie.
Der Jüngling fühlt das Leben durch seine Lippen
entfliehen. –
Die Sonne steht tief am Horizont. No blinzelt aus
halbgeöffneten Augen. Er ruht auf einer Terrasse. Er wendet
den Kopf, die Wunde am Halse schmerzt. Er erblickt, weiß wie
Leichen, seine Gefährten neben sich, auch ihr Hals ist durch
eine blutende Wunde zerfetzt. Ihre blicklosen Augen sind weit
geöffnet.
Die Gedanken
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