Ende einer Welt
er von seinem Kummer. Nach langer Beratung
entschließen sie sich, ein Bild der Flüchtigen aus
Elfenbein zu verfertigen. Ist das Werk erst einmal vollendet, wird es
ein Weiser nicht ablehnen, darüber die nötigen
Zaubersprüche zu sprechen, und, wie weit Mah auch sein
möge, sie wird gezwungen sein, zum Stamme
zurückzukehren. No selbst will die Nachbildung seiner
Schwester ausführen. Zart und schlank schnitzt er sie, mit
hohen Beinen, noch kleinen Brüsten, doch geschwungenen
Hüften und einem zierlichen Kopf. Die ganze Zeit, die ihn noch
von den kommenden Spielen trennt, widmet er dieser Arbeit. Niemals
wurde ein Bild mit größerer Liebe geschnitten.
Langsam streicht er über die kleine Figur und, indes er sie in
seiner warmen Hand umschlossen hält, spricht er ihren Namen
aus. Schon scheint sie zu erwachen. Wie eine Welle des Lebens
fühlt er es von ihr herüberströmen. Mah
selbst ist es, die sie erwärmt ... Ein Weiser spricht die
Formel zu ihr, die bindet. No findet Ruhe. Er fühlt,
daß Mahs Geschick an seines gekettet ist, und daß sie
eines Tages zurückkehren wird.
Drei Wochen verfließen zwischen der feierlichen
Einweihung der jungen Leute und den Hochzeitsspielen, die diese Tage
krönen. Stets zur Zeit des ersten Vollmondes im Sommer
versammelten sich alle drei Stämme, die am Flusse lebten, um
dieses ihr größtes Fest gemeinsam zu begehen. Die
Eingeweihten kommen, ihre Frau zu rauben, und folgen damit einem
Brauche, der so uralt ist, daß selbst die Weisen, die seinen
Ursprung kennen, dessen Entstehungszeit nicht feststellen
können.
In diesem Jahre wurde das Fest bei den Söhnen des
Bären abgehalten.
Schon zwei Tage vorher begannen sich die
Nachbarstämme in kleinen Gruppen einzufinden, die
Mädchen zum letztenmal unter der Obhut ihrer Mütter.
Die jungen Männer, an schnelleren Marsch gewöhnt,
brachen unter Führung eines der Weisen ihres Stammes einen
halben Tag später auf und fanden sich nicht vor dem Vortage
des Festes ein. Sie trafen am Fuße der heiligen Grotten mit
den Söhnen des Bären zusammen, mit denen sie hier die
letzte Nacht verbrachten.
Die Familien lagerten am Ufer des Flusses. Während
der schönen Jahreszeit war es nicht nötig, in den
Hütten auf der Terrasse zu bleiben. Jeder brachte seinen
Schlafsack mit, und wenn ein Regen drohte, waren rasch ein paar
Pferdehäute zwischen Bäume gespannt. Feuer
verscheuchten die gefräßigen Hyänen und die
noch lästigeren Insekten.
Der Brauch gebot es, daß die Gäste von jenem
Stamme verpflegt wurden, bei dem das Fest stattfand. So hatten auch die
Leute vom Flusse große Vorräte angesammelt. Fleisch
von Pferden, Bisons und Hirschen stand bereit, und man hatte wohl
darauf geachtet, keines vom Eber beizumengen, da dieses dem Stamme, der
seinen Namen trug, verbotene Nahrung war. Auch Beeren,
Kräuter, Schwämme und geräucherte Fische
waren vorbereitet. Als Gegenleistung brachte jede Familie, die ein
heiratsfähiges junges Mädchen mitführte, das
Fell von einem Fuchs, Hermelin, Marder oder einer Wildkatze mit.
Neugierig betrachteten einander die Leute der drei
Stämme. Obwohl sie kaum wenige Tagemärsche weit
auseinander wohnten, kamen sie doch nur bei besonderen
Anlässen zusammen. Sie waren von gleicher Abstammung, ihre
Sitten waren ähnlich. Dennoch gab es Unterschiede zwischen
ihnen, fast unkenntlich jedem Fremden – den Händlern
etwa –, beträchtlich jedoch in ihren eigenen Augen.
So trugen die Söhne des Ebers die Hosen um einige Finger
länger und am unteren Saum in Lederfransen endend. Die
Söhne des Bären lachten über diese Mode, die
ihnen weibisch schien. Auch staunten sie darüber, daß
die beiden anderen Stämme das von ihnen verachtete Fleisch der
Füchse genossen, die doch die hinterlistigsten und falschesten
Tiere waren. Wie konnte man Leuten trauen, die von solchen Tieren
Nahrung nahmen? Die Eber- und Mammutsöhne wieder sahen voll
Verwunderung, daß die »Bären« auch
gelegentlich Elstern und Raben nicht verschmähten, eine Kost,
die sie selbst höchstens für geschwätzige,
alte Weiber angemessen erachteten.
Während der letzten Nacht, die dem Feste voranging,
wachten die jungen Mädchen an einem gemeinsamen Feuer. Manche
von ihnen fürchteten sehr, von keinem Manne entführt
zu werden. Viele hatten sich allerdings schon vorher Gewißheit
verschafft. Alle zeigten aber äußerlich die
größte Ruhe und Zuversicht. Es gab natürlich
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