Ende einer Welt
Ohne Mühe
fand Mara sich in die Sitten der Leute am Fluß, die von denen
ihres eigenen Volkes nicht allzusehr abwichen. Anfangs hatte man sie
ein wenig mit der Verachtung behandelt, wie sie begreiflicherweise das
Volk der Jäger für das der Fischer empfindet. Mara
aber hatte ein anpassungsfähiges Wesen, und, ihrem Gatten treu
ergeben, verlangte sie nichts, als das zu erlernen, was sie nicht
konnte. Besonders half sie bei der Bearbeitung der Felle, und Bahili
lehrte sie ihr Geheimnis, eine kreisförmige Bewegung der Hand,
die ihr niemand nachmachen konnte. No ging mit seinen Freunden jeden
fünften oder sechsten Tag auf die Jagd. Sie erlegten in diesem
Winter zahlreiche Pferde, so daß es wenigstens an Nahrung
nicht mangelte. Die übrige Zeit verbrachte er damit, seine
Waffen instand zu halten, Harpunen und Speerspitzen nun aus
Hirschgeweih zu schnitzen, seit das Renntier fehlte.
Er übte sich auch weiter darin, Tierbilder zu
zeichnen. Auf der Wand seiner Hütte ließ er, von
einem frommen Gedanken geleitet, den ehrwürdigen Stammvater,
den gewaltigen Höhlenbären, erstehen. Fast in
Lebensgröße bildete er ihn nach und erzählte
dabei Mara vom Leben und von den Taten dessen, der ihrer aller Vater
gewesen war. Mara lauschte ihm, aufs höchste verwundert, auf
dem Felsen das Bild des Bären selbst erscheinen zu sehen. Mit
dem Scharfsinn und der Spitzfindigkeit, die Erbteile seines Stammes
waren, nutzte auch er die Vertiefungen und Erhebungen der Felswand aus,
um sein Bild plastisch zu gestalten. Und dann belebte er mit Hilfe der
Farben die bis dahin tote Masse. Es bereitete ihm ungeahnte Freude, die
Formen unter seinen geduldigen Fingern erstehen zu lassen. Ein Wesen,
das No ins Leben gerufen hatte, stand jetzt dort, wo bisher nur
dunkler, kahler Felsen gewesen war!
Das Erstaunlichste war, daß er selbst niemals einen
Höhlenbären gesehen hatte. Nur dessen kleineren
Bruder kannte er, den Waldbären, der einem geschickten
Jäger leichte Beute war. Wenn er sich auf seinen Hintertatzen
aufrichtete, erreichte er bloß die Größe
eines erwachsenen Mannes. Obwohl er über gewaltige
Kräfte verfügte, berichtete man doch von einzelnen
Fällen, in denen waffenlose Jäger, von einem
verwundeten Bären überrascht, ihn
buchstäblich in ihrer Umarmung erdrückt hatten und
dadurch zu großem Ruhm gelangt waren. Man hätte aber
nicht daran denken können, mit einem
Höhlenbären den so ungleichen Kampf zu beginnen.
Außerdem hatte dieser als geheiligtes Tier gegolten, und
niemand hätte ihn zu jagen gewagt. In den letzten Jahren war
auch er verschwunden, auch er, und keiner der jungen Leute kannte auch
nur seine Fußspuren. Wieder ein Grund mehr zur Besorgnis, denn
was würde geschehen, wenn man ihn auch in höchster
Not nicht fände, um den Ahnen zu opfern und das Fest der
Wiedervereinigung zu begehen. Seine Söhne würden
sterben, weil sie nicht von neuem an seinen herrlichen Kräften
teilhaben konnten. Aus welcher anderen Quelle sollte man
schöpfen, um dem sterbenden Stamm das Leben
zurückzugeben? Und wenn man es recht bedachte, war nicht
vielleicht gerade das Verschwinden des großen Bären
die Ursache all der Übel, die sein Volk zu ertragen hatte?
All diesen ernsten Fragen grübelte No nach,
während seine sichere Hand das Bild nach der Erinnerung einer
Darstellung in der heiligen Grotte schuf. Gerade jetzt, da der ganze
Stamm in sorgenvoller Furcht lebte, war es ihm Bedürfnis, sein
Heim, in dem bald ein Kind geboren werden sollte, unter den Schutz des
Ahnen zu stellen.
Als der Frühling seinen Einzug hielt, brachte Mara
unter dem Beistand der Frauen ein Mädchen zur Welt, das von No
zur Erinnerung an seine verschwundene Schwester Mah genannt wurde. Sie
wickelte das Kind in ein Fuchsfell, das dafür vorbereitet war,
und trug es tagsüber in ihrem Renntierwams geborgen zwischen
den Brüsten.
Die Witterung blieb schlecht. Abwechselnd fielen Regen und
halbzergangener Schnee. Eine neue, furchtbare Prüfung brach um
diese Zeit über die Söhne des Bären herein,
als sollte ihnen vor Augen geführt werden, daß die
ihnen feindlichen Mächte sich nicht erweichen ließen.
Diesmal war es eine merkwürdige Krankheit, die mit einem
Stechen im Hals begann. Bald verklebten sich Hautteile im
Schlünde, die das Atmen immer schwieriger machten. Der Kranke
hustete fürchterlich, um diese ihn erstickenden Häute
auszustoßen. Durch Mund und Nase gab er Ströme
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