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Ende einer Welt

Titel: Ende einer Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Anet
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der du fort bist
...« sagte man. »Du, der du uns verlassen
hast...«
    Dann erst war man überzeugt, daß die Seele
in das ewige Reich der Geister eingezogen sei, und jede Erinnerung an
den Häuptling wurde aus der Welt der Lebenden
gelöscht. –
    Während die unwissende Menge in den
Wohnstätten und die Weisen in ihren Zusammenkünften
noch den feindlichen Einflüssen nachforschten, die den Tod des
Führers, dessen Namen man nicht aussprach,
herbeigeführt hatten, wußte No recht gut, woran er
sich zu halten hatte. Mahs spitze Nadel hatte das von ihm geschaffene
Bild des Häuptlings nicht vergeblich durchbohrt! Doch
Gewissensbisse verspürte er nicht. Im Gegenteil, er
beglückwünschte sich dazu, den Stamm von einem so
unseligen Manne erlöst zu haben. Andererseits empfand er
gewaltigen Stolz über die Macht seiner magischen Kunst. In
dieser ruhelosen Zeit, die sie durchlebten, würde er sie
zweifellos noch oft gebrauchen müssen!
    Die Anzeichen waren nicht günstig.
    Frohe Hoffnungen waren in den Leuten vom Fluß beim
Verschwinden des alten Häuptlings entflammt. Schon hatten sie
ein baldiges Ende ihrer Leiden, den Rückzug der feindlichen
Geister und die Wiederkehr der natürlichen Ordnung der Dinge
erwartet, da Boro nun über das Wohl des Volkes wachte.
    Kurze Zeit nur dauerte ihr Irrtum. Denn schon während
des Herbstes fiel unaufhörlich ein feiner Regen. Einen Monat
lang war die Sonne nicht zu sehen. Allgemein wurde diese so
bösartige Stellungnahme der Gestirne dem Einflüsse
des Verstorbenen zugeschrieben, und man beschuldigte die Weisen,
daß sie die vorgeschriebenen Sterberiten nicht
pünktlich erfüllt hätten. Wenn der Regen
aussetzte, wichen die schweren Wolken nicht vom trüben Himmel.
Eine eisige Nässe lag über Bäumen, Flechten
und Moosen. Der Fluß trat aus seinen Ufern und
überschwemmte die tief gelegenen Täler. Man
mußte einige Wohnstätten räumen. Die
angeschwollenen Sümpfe bedeckten die sie durchquerenden Wege.
Bald war es fast unmöglich geworden, von einer Seite des Tales
zur anderen zu gelangen. Ringsum im Tale und vor den Hütten
entzündete man Feuer, um den Himmel auszutrocknen. Lange blieb
diese Zauberei wirkungslos.
    Die Männer auf der Jagd sahen ihre Mühen
verzehnfacht, da die Spuren der Tiere in dem aufgeweichten Boden
verschwammen. Vollkommen erschöpft kehrten die Jäger
nach Hause zurück, wo sie von ihren Frauen und
Töchtern schlecht empfangen wurden, weil sie niemals mehr ein
schönes, geschmeidiges, dicht behaartes Renntierfell
heimbrachten. Die alten Kleidungen wurden immer schadhafter. Die Weiber
verbrachten ihre Zeit damit, sie mit ihren dünnen Nadeln zu
flicken. Die Tage reichten nicht mehr für diese
mühselige Arbeit, sie mußte auch nachts bei
rauchenden Fackeln fortgesetzt werden. Wo sollte das
hinführen? Weder Marder noch Fuchs gaben ein Fell, das
kräftig genug gewesen wäre, Wams und Hosen
für die Jäger herzustellen.
    Um alles Unglück zu vermehren, setzte Anfang des
Jahres der Frost heftig ein, ehe noch Schnee gefallen war. Und als der
Schnee dann kam, ballte er sich zu solchen Massen, daß das
Wild darunter litt. Der ganze Winter war nur eine unausgesetzte Folge
von grimmigen Frösten, gefolgt von Tauwetter.
    Nichts Schlimmeres konnte es für den Stamm geben. Die
Menschen ertrugen diese ungewohnten plötzlichen Schwankungen
der Temperatur nicht. Sie waren überzeugt, launischen,
bösen Mächten wehrlos ausgeliefert zu sein, und
Furcht quälte sie unausgesetzt. Sie lebten elend, der
wechselnden Witterung preisgegeben, in der Angst vor dem Ungewissen.
Während man sich beim flackernden Feuer wärmte,
erzitterte man bei dem Gedanken, wie man frieren würde, wenn
auch die letzten Renntierfelle zur Bekleidung unbrauchbar
wären.
    Für jeden, der vernünftigen Sinnes war,
wurde es schließlich zur unabweisbaren Tatsache, daß
die Welt der Geister in Feindschaft mit dem Stamme lebte, und
daß die verschiedenen Leiden nur diese einzige Ursache hatten.
So mußte auch Boro, der anfangs so große Hoffnungen
erweckt hatte, die Unbeliebtheit kennenlernen, die Rahi in den letzten
Jahren seiner Herrschaft zu Boden gedrückt hatte. Und auch die
Weisen, obwohl sie die unwissende Menge immer noch in Furcht gebannt
hielten, verloren nach und nach an Einfluß. Feindselige Reden
liefen von Mund zu Mund.
    No hatte sich auf der geräumigen Terrasse, auf der
seine Eltern wohnten, eine Hütte erbaut.

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