Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Ende einer Welt

Titel: Ende einer Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Anet
Vom Netzwerk:
Schlummer wurde No durch ein
beängstigendes Gefühl gerissen. Es war, als
hätte er instinktmäßig Anzeichen
wahrgenommen, die auf ungeahnte Vorgänge in seiner
Nähe deuteten. Er öffnete die Augen und richtete sich
umherspähend auf. Zu seinen Füßen glimmten
noch die Reste des Feuers. Bleierne Stille lag ringsum, nur das
gleichmäßige Atmen seiner Freunde war zu vernehmen.
Auf dem dunklen Himmel blinkten all die tausend Sterne, die No seit
jeher kannte. Über der Erde war zwar die Finsternis so
undurchdringlich, daß sein suchendes Auge nichts zu
unterscheiden vermochte, aber Grund zur Beunruhigung lag keiner vor. Er
streckte sich wieder aus und schloß die Augen. Das Bild Maras
erschien ihm einen Augenblick, so wie er sie zum ersten Male im Flusse
erblickt hatte. Im gleichen Flusse, den Mah auf ihrer Flucht durchquert
haben mußte. Seine Gedanken verwirrten sich, er wußte
kaum mehr, ob er träumte, ob er dachte, da plötzlich
fuhr er auf.
    Nicht weit entfernt von ihm, etwa dreihundert Schritte, aber
jenseits des Flusses, waren Tierstimmen laut geworden. Doch sie
ähnelten weder dem heiseren Geheul der Wölfe, noch
dem Kläffen des Fuchses, der in Gesellschaft seines Weibchens
einen Hasen hetzt. Es mußten gegen zwanzig Tiere sein, die
alle durcheinander, scheinbar in großer Erregung, dieses
Lärmen hören ließen, und niemals noch,
seitdem Menschen den Fluß bewohnten, war Ähnliches an
ihre Ohren gedrungen. Waren neue Tiere ins Land gekommen?
Bösartige Tiere? Mit welchen Mitteln wehrte man sich gegen sie?
    Mit der Schnelligkeit eines Pfeilschusses schossen diese
Fragen durch Nos Kopf. Schon waren auch seine Gefährten wach
und horchten erregt wie er. Sie sprachen keiner ein Wort, doch an ihren
Blicken erkannte man, daß sie den ganzen Ernst dieses
Ereignisses begriffen.
    Auf Augenblicke wurden die Tiere immer still, dann begannen
zwei oder drei wieder ihr starkes Lärmen, und die
übrigen fielen, als hätten sie nur auf dieses Signal
gewartet, lebhaft ein. Die Stimmen näherten sich jetzt. Die
jungen Männer hatten ihre Bogen ergriffen und blickten
angestrengt nach der Richtung, in der das Rudel der unbekannten Feinde
erscheinen mußte. Doch es schien sich wieder zu entfernen, und
bald klang das Lärmen nur noch schwach herüber. Tiefe
Stille lag wieder über den Wäldern und
Hügeln.
    Beim Feuer entspann sich eine so leise geführte
Unterhaltung, als ob rings im Dunkel ein Kreis von Feinden lauern
würde. Übereinstimmung herrschte nur in einem
einzigen Punkte: in der völligen Unkenntnis der Art dieser
Tiere, deren Stimmen sie eben zum ersten Male vernommen hatten. Und
darin lag die unheimliche Bedrohung. Seit Jahrhunderten kannten sie
alle Tiere, die das Land bevölkerten, kannten jede ihrer
Gewohnheiten, ihre Tücken, wie auch ihre Schwächen;
seit Generationen hatten sie gegen sie zu kämpfen, sie zu
überwinden gelernt. Und heute fanden sie sich dem
Furchtbarsten gegenüber, das es geben kann: dem Unbekannten!
Jeder einzelne von ihnen hatte hunderte Male sein Leben bei der Jagd
aufs Spiel gesetzt, doch jeder von ihnen spürte in diesem
Augenblick das gleiche, lähmende Entsetzen, dieselbe
beklemmende Angst.
    Sie nahmen sich vor, beim ersten Tagesgrauen den Spuren dieser
Tiere zu folgen und zu trachten, eines davon zu erlegen, um es den
Weisen heimzubringen. Schon hatten sie den ursprünglichen
Zweck ihrer Mission vergessen, schon dachten sie nicht mehr an den
sonderbaren Fund Nos und an den unbekannten Besitzer jenes fremdartigen
Gegenstandes, den sie zu suchen ausgezogen waren. Das neue Erlebnis
hatte alles verdunkelt und war der einzige Gegenstand ihrer Gedanken,
die bis zum ersten Schimmer des neuen Tages nicht mehr zur Ruhe kommen
wollten.
    Nachdem sie gegessen hatten, zogen sie weiter. Zwei auf dem
rechten Flußufer, zwei auf dem linken, gingen sie jeder vom
anderen etwa zweihundert Schritte entfernt, stromaufwärts. No
hielt sich am weitesten vom Flusse ab.
    Bald durchschritt er einen Fichtenwald, bald führte
sein Weg über Wiesen, hier war es ein Teich, der umgangen
werden mußte, dort ein Sumpf, dem auszuweichen war, langsam
nur kam er vorwärts, den Blick forschend auf den Boden
gerichtet, um die Spuren der nächtlichen Tiere zu entdecken.
    Plötzlich bemerkte er in einer Grube vor einem
Felsen, etwa zwanzig Schritte vor sich, ein Tier, das an den
Eingeweiden eines Hirschkalbes fraß. Beim Geräusch
der herannahenden

Weitere Kostenlose Bücher