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Ende eines Sommers

Ende eines Sommers

Titel: Ende eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Pilcher
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die Tasche meines Regenmantels, „nimm das mit. Du wirst es vielleicht brauchen.“
    „Aber, du …“ Ich wurde von Linda und Mitzi unterbrochen, die vom Strand zurückkehrten. Mitzi vertreute Sand auf dem ganzen Boden, und Linda war entzückt von ihrem kurzen Einssein mit der Natur.
    „Oh, diese Wellen, ich habe so etwas noch nie gesehen. Sie müssen zehn Fuß hoch sein.“ Dann bemerkte sie meinen Koffer, meinen Regenmantel, mein vermutlich wenig glückliches Gesicht. „Jane, was hast du vor?“
    „Ich gehe fort.“
    „Wohin, um Himmels willen?“
    „Nach Schottland.“
    „Ich hoffe, nicht meinetwegen.“
    „Zum Teil. Aber nur weil das bedeutet, daß jemand hier ist, der sich um Dad kümmern kann.“
    Sie sah ein bißchen beunruhigt aus, als wäre das letzte, was sie vorgehabt hätte, sich um Vater zu kümmern. Fairerweise ließ sie sich jedoch nichts anmerken und machte gute Miene zum bösen Spiel. „Das ist ja aufregend für dich. Wann fährst du?“
    „Heute. Jetzt. Ich nehme den Dodge mit nach La Carmella …“ Dann ging ich in Richtung Tür. Dad nahm meinen Koffer und kam mir nach. „Und ich hoffe, du hast einen guten Winter. Und daß es nicht zu viele Stürme gibt. Und im Kühlschrank sind Eier und Thunfisch …“
    Ich ging die Verandatreppe hinunter, duckte mich unter der Wäscheleine durch (würde Linda darauf kommen, die Wäsche abzunehmen?) und setzte mich hinter das Steuerrad. Mein Vater hievte den Koffer auf den Rücksitz.
    „Jane –“ setzte er an, aber ich war außerstande, mich zu verabschieden. Als ich an Rusty dachte, war es schon zu spät. Er hatte gehört, wie die Autotür zuschlug, wie der Motor ansprang, und war wie der Blitz aus dem Haus. Unter entrüstetem Gebell rannte er neben mir her, die Ohren flach am Kopf, bedroht von einem fast sicheren Tod.
    Es war der letzte Tropfen. Ich hielt den Wagen an. Rusty stellte sich auf die Hinterbeine und kratzte und scharrte mit den Pfoten an der Autotür. Ich beugte mich hinaus und versuchte ihn wegzuschieben. „Rusty, nicht. Runter. Ich kann dich nicht mitnehmen. Du kannst nicht mitkommen.“
    Inzwischen hatte Dad uns eingeholt. Er hielt Rusty fest, stand da und sah auf mich herab. Rusty war tief getroffen, sein Blick war ein einziger Vorwurf, aber mein Vater hatte einen Ausdruck im Gesicht, den ich nie zuvor gesehen hatte und nicht völlig verstand. Es war zuviel. Ich brach in Tränen aus.
    „Du wirst dich um Rusty kümmern, nicht wahr?“ schluchzte ich. „Schließ ihn ein, damit er nicht hinter dem Auto herrennen kann. Und sorg dafür, daß er nicht überfahren wird. Und er mag nur Hundefutter von ’Red Heart’, die anderen Sorten frißt er nicht. Und laß ihn nicht allein am Strand, sonst klaut ihn jemand.“ Verzweifelt suchte ich nach einem Taschentuch. Wie üblich hatte ich keins, und wie üblich nahm mein Vater eins aus der Tasche und reichte es mir schweigend. Ich putzte mir die Nase, umarmte ihn und Rusty ebenfalls. Dann fuhr ich los und sah mich nicht um, aber ich wußte, daß sie stehenblieben und mir nachsahen, bis ich über den Hügelkamm außer Sicht war.
     
    Es war Viertel vor elf, als ich in das Empfangsbüro des Motels eintrat. Der Mann hinter dem Schreibtisch betrachtete ohne jedes Interesse mein verquollenes und tränenver-schmiertes Gesicht, als gingen weinende Frauen hier den ganzen Tag ein und aus.
    „Ist Mr. David Stewart schon fort?“ fragte ich.
    „Nein, er ist noch da. Hat noch ’ne Telefonrechnung zu bezahlen.“
    „Welche Nummer hat sein Zimmer?“
    Er sah auf eine Tafel. „Zweiunddreißig.“ Seine Augen glitten über meinen Regenmantel, meine Jeans, meine schmutzigen Turnschuhe. Er griff nach dem Telefonhörer. „Wollen Sie ihn besuchen?“
    „Ja, bitte.“
    „Ich ruf ihn an und sag ihm, daß Sie kommen. Wie heißen Sie?“
    „Jane Marsh.“
    Er winkte mit seinem Kopf in Richtung Tür und schickte mich auf den Weg. „Nummer zweiunddreißig“, wiederholte er.
    Ich machte mich auf den Weg, der mich durch einen überdachten Gang und an einem großen, sehr blauen Schwimmbecken vorbeiführte. Zwei Frauen aalten sich in Liegestühlen, ihre Kinder tobten im Wasser, schrien und stritten sich um einen Plastikschwimmring. Bevor ich die Hälfte des Weges gegangen war, kam mir David Stewart entgegen. Als ich ihn sah, begann ich zu laufen. Die beiden Frauen waren ebenso überrascht wie ich, als ich direkt in seinen Armen landete. Er fing mich auf und schob mich dann ein Stückchen von sich fort.

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