Ende eines Sommers
weil er nie lange genug an einem Ort war, um das Aufgebot zu bestellen?“
„Aber das ist egoistisch. Er hat dir keine Chance gegeben fortzugehen, hierher zurückzukehren und uns alle zu besuchen oder auch nur irgendeinen Beruf auszuüben.“
„Ich habe mir nie gewünscht, einen Beruf auszuüben.“
„Aber heutzutage sollte jedes Mädchen in der Lage sein, seinen Unterhalt selbst zu verdienen.“
Ich sagte, ich sei sehr glücklich, den Unterhalt von meinem Vater bezahlt zu bekommen, aber meine Großmutter meinte, ich sei ebenso eigensinnig wie er, und ob mich nie irgendein Beruf interessiert hätte?
Ich dachte angestrengt nach, aber ich konnte mich nur erinnern, daß ich mit acht Jahren zum Zirkus gehen und helfen wollte, die Kamele zu putzen. Allerdings glaubte ich nicht, daß meine Großmutter das gelten lassen würde, deshalb erwiderte ich: „Eigentlich nicht.“
„Oh, meine arme Jane.“
Ich sträubte zur Verteidigung meines Vaters die Nackenhaare. „Ich bin nicht arm. Überhaupt nicht arm. Ich habe nicht das Gefühl, daß mir auch nur das geringste gefehlt hat.“ Um das etwas abzumildern, fügte ich hinzu: „Außer Elvie. Ich habe Elvie sehr vermißt. Und dich. Und alles hier.“ Sie schwieg. Ich ließ das zerpflückte Blatt fallen und beugte mich hinunter, um ein anderes aufzuheben. Eifrig damit beschäftigt, sagte ich: „David Stewart hat mir von Onkel Aylwyn erzählt. Ich habe Sinclair gegenüber nichts erwähnt, aber … es tut mir leid … ich meine, weil er so weit fort war und alles.“
„Ja.“ Ihre Stimme war ausdruckslos. „Aber andererseits, er
hat es so gewollt – in Kanada zu leben, meine ich, und schließlich ist er dort gestorben. Siehst du, Elvie hat Aylwyn nie viel bedeutet. Er war im Grunde ein sehr ruheloser Mensch. Er brauchte Gesellschaft mehr als alles andere. Er liebte Abwechslung in allem, was er tat. Und dafür war Elvie nie der geeignete Ort.“
„Merkwürdig, ein Mann, der sich in Schottland langweilt … Es ist doch eine ganz und gar passende Umgebung für einen Mann.“
„Ja, aber weißt du, er schoß nicht gern, und er wollte nie angeln, es langweilte ihn. Er mochte Pferde und Rennen. Er ging mit Begeisterung zu Pferderennen.“
Ich stellte mit einiger Überraschung fest, daß wir zum erstenmal über meinen Onkel Aylwyn sprachen. Das Thema war nicht gerade gemieden worden, doch früher war ich einfach überhaupt nicht neugierig gewesen. Jetzt aber merkte ich, wie unnatürlich es war, daß ich so wenig über ihn wußte … Ich wußte nicht einmal, wie er ausgesehen hatte, denn meine Großmutter war – im Gegensatz zu den meisten Frauen ihrer Generation – nicht sehr für Familienfotos. Und die, die sie hatte, waren ordentlich in Alben eingeklebt worden und standen nicht in Silberrahmen auf dem großen Flügel herum.
„Was für ein Mensch war er? Wie sah er aus?“
„Wie er aussah? Er sah so aus wie Sinclair jetzt. Und er war sehr charmant. Er betrat einen Raum, und man konnte sehen, wie alle Frauen aufmerkten, anfingen zu lächeln und sich in Szene setzten. Es war ziemlich amüsant zu beobachten.“
Ich war kurz davor, sie nach Silvia zu fragen, aber sie kam mir zuvor, indem sie einen Blick auf die Uhr warf und wieder geschäftsmäßig wurde.
„Oh, ich muß gehen und Mrs. Lumley diesen Rosenkohl bringen, sonst reicht es ihr nicht mehr bis zum Mittagessen. Danke für deine Hilfe beim Pflücken. Und ich habe unseren kleinen Schwatz sehr genossen.“
Sinclair hielt sein Versprechen und kam zum Tee zurück. Danach zogen wir die Mäntel an, pfiffen nach den Hunden und machten uns auf den Weg, um die Gibsons zu besuchen.
Sie lebten in einem kleinen Wildhüter-Cottage in einer Senke des Berges, der sich im Norden von Elvie erhob. Wir mußten die Insel verlassen, die Hauptstraße überqueren und einem Weg folgen, der sich zwischen Gras und Heidekraut hinaufschlängelte und zweimal über den Wildbach führte. Der Bach hatte sich seinen Weg durch die Höhen und Tiefen der Berge ins Loch gebahnt, und das Glen, durch das er floß, sowie die Berge auf beiden Seiten gehörten alle zum Besitz meiner Großmutter.
In alten Zeiten gab es Jagdgesellschaften, bei denen Schulkinder als Treiber angeheuert wurden und Bergponies die älteren Herren zu ihren Ansitzgruben hochtrugen. Jetzt war das Moor an eine Gruppe von Geschäftsleuten aus der Gegend verpachtet worden, die zu ihrem Vergnügen an zwei oder drei Samstagen im August im Moor herumwanderten, aber offenbar
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