Ende eines Sommers
Braemar. Da ist ein Mann mit einem guten Hund. Ich dachte, wollen wir doch mal sehen, ob wir nicht einen Wurf Welpen bekommen.“
Sinclair hob seine Augenbrauen. „Sie fahren morgen? Um wieviel Uhr?“
„Ich fahre gegen neun Uhr los.“
„Was sagt der Wetterbericht? Was wird morgen für ein Tag?“
„Wir sollten heute abend ein bißchen Wind bekommen, der all diesen trüben Dunst fortweht. Für das Wochenende sind die Aussichten gut.“
Sinclair drehte sich um und lächelte mich an. „Was meinst du?“
Ich hatte mit dem Hund gespielt und kaum zugehört. „Wie bitte?“
„Gibson fährt morgen früh nach Braemar. Er könnte uns mitnehmen, und wir könnten über den Lairig Ghru nach Hause laufen …“ Er drehte sich wieder Gibson zu. „Könnten Sie abends nach Rothiemurchus kommen, und uns dort abholen?“
„Oh, aye, das könnte ich. Wann ungefähr wäre das?“ Sinclair dachte nach. „Gegen sechs? Bis dahin sollten wir es schaffen.“ Er sah mich wieder an. „Was meinst du, Jane?“
Ich war nie über den Lairig Ghru gegangen. In den alten Zeiten ging von Elvie aus jeden Sommer jemand diesen Weg, ich hatte mir jedesmal gewünscht, mitgehen zu dürfen, wurde aber nie mitgenommen, weil, wie es hieß, meine Beine nicht lang genug dafür seien. Jetzt aber …
Ich sah zum Himmel hoch. Die Wolkendecke vom Morgen war den ganzen Tag über nicht aufgerissen und wurde jetzt, als der Tag seinem Ende zuging, zu feinem Nebel. „Wird es wirklich ein schöner Tag?“
„Oh, aye, und sehr warm.“
Gibsons Meinung genügte mir. „Gern! Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen.“
„Nun, dann ist das abgemacht. Dann um neun Uhr am Haus?“
„Ich werde dasein“, versprach Gibson. Wir dankten ihnen für den Tee und gingen den Berg hinunter, über die nasse Straße und weiter nach Elvie. Die naßkalte Luft war schwer von Feuchtigkeit, und unter den Blutbuchen lag der Weg im Dunkeln. Ich war plötzlich niedergeschlagen. Ich hatte mir so gewünscht, daß sich nichts geändert hätte … hatte gewünscht, daß es in Elvie genauso sein würde, wie ich es in Erinnerung hatte, aber Gibson so gealtert zu sehen hatte mich mit einem Ruck erwachsen werden lassen. Er war krank gewesen, sagte er. Eines Tages würde er sterben. Und der Gedanke an den Tod in dieser eisigen Stunde zwischen Tag und Nacht ließ mich erschauern.
„Kalt?“ fragte Sinclair.
„Mir geht’s gut. Es war ein langer Tag.“
„Bist du sicher, daß du morgen gehen willst? Es ist ein teuflischer Weg.“
„Ja, natürlich.“ Ich gähnte. „Wir müssen Mrs. Lumley dazu bringen, daß sie uns ein Picknick mitgibt.“
Wir kamen unter den Buchen hervor, und die abweisende Nordfront des Hauses erhob sich vor uns, eine schwarze Silhouette vor dem finsteren Himmel. Ein einziges Licht schimmerte gelb durch die blaue Dämmerung. Ich beschloß, vor dem Abendessen ein heißes Bad zu nehmen, gegen die Kälte und gegen die Niedergeschlagenheit.
6
D as Bad munterte mich wirklich auf. Ich plätscherte in dem seidigen schottischen Wasser und döste vor mich hin. Es war noch früh, deshalb nahm ich eine Wärmflasche aus dem Badezimmerschrank, füllte sie mit Leitungswasser und legte mich für eine Stunde ins Bett. Ich hatte die Vorhänge nicht vorgezogen, lag im Dunkeln und lauschte dem endlosen Geschnatter der Wildgänse.
Dann zog ich mich wieder an. In dem vagen Verlangen, aus meinem ersten Abend zu Hause irgendwie einen besonderen Anlaß zu machen, mühte ich mich, mein Haar hochzustecken, und verwendete eine gute halbe Stunde auf mein Augen Make-up. Dann holte ich mein einziges festliches Kleidungsstück hervor, einen schwarzgoldenen Kaftan aus schwerer Seide, über und über mit goldenen Stickereien und Schnüren verziert. Mein Vater hatte ihn in einem düsteren chinesischen Laden in San Francisco gefunden und ihm nicht widerstehen können.
Ich sah darin ziemlich majestätisch aus. Nach eingehender Prüfung meines Erscheinungsbildes im Spiegel befestigte ich meine Ohrringe, tupfte mir Parfum hinters Ohr und ging nach unten. Ich war zu früh, aber mit voller Absicht. Während meiner Siesta hatte ich einen Plan geschmiedet, und dazu wollte ich ungestört sein.
Das Wohnzimmer meiner Großmutter war für den Abend vorbereitet und bot einen bezaubernden Anblick, wie eine Bühnendekoration. Die Samtvorhänge waren vor die dunklen Fenster gezogen worden, die Kissen waren aufgeschüttelt, und die Zeitschriften lagen ordentlich aufeinander. Im
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