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Ende eines Sommers

Ende eines Sommers

Titel: Ende eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Pilcher
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aus, mit dunklen Brauen und Wimpern und tiefblauen Augen, deren Winkel unwiderstehlich nach oben gingen. Seine Nase war gerade und sein Mund geschwungen und voll, die Unterlippe war etwas breiter, und als er noch klein war, konnte er sehr schmollend aussehen. Sein Haar war dick und glatt, er trug es lang, es lief hinten im Nacken in einer Spitze auf dem Kragen zusammen. An die Haartrachten von Reef Point gewöhnt, entweder militärisch kurz (Surfer) oder schulterlang (Hippies), fand ich, daß es sehr attraktiv wirkte. Er trug an diesem Morgen ein blaues Hemd, in dessen offenen Kragen er ein Baumwolltuch geknotet hatte, und eine verwaschene Cordhose mit einem Gürtel aus geflochtener Wolle.
    Auf der Suche nach einer Bestätigung meiner Hoffnungen
    fragte ich ihn: „Hast du wirklich frei?“
    „Natürlich“, sagte er kurz, und bestätigte damit gar nichts. Ich gab auf und sagte mir, daß ich es nie erfahren würde.
    „Du bist bei einer Werbeagentur?“
    „Ja. Strutt und Seward. Persönlicher Assistent des geschäftsführenden Direktors.“
    „Ist es ein guter Job?“
    „Es gehört ein Spesenkonto dazu.“
    „Du meinst feuchtfröhliche Mittagessen mit vielversprechenden Kunden?“
    „Es muß kein feuchtfröhliches Mittagessen sein. Wenn der vielversprechende Kunde hübsch ist, kann es auch ein intimes Abendessen bei Kerzenlicht sein.“
    Ich spürte einen Stich der Eifersucht. Er sah zu, wie ich vor der Frisierkommode mein Haar auskämmte, und sagte: „Ich hatte ganz vergessen, wie lang dein Haar ist. Du hast es früher in Zöpfen getragen. Es ist wie Seide.“
    „Von Zeit zu Zeit schwöre ich, daß ich es abschneiden lasse, aber ich kann mich nie dazu durchringen.“ Ich legte den Kamm hin, ging zu ihm und kniete mich neben ihn aufs Bett, um das Fenster aufzumachen und mich hinauszulehnen.
    „Was für ein köstlicher Geruch“, rief ich. „Ganz feucht und herbstlich.“
    „Riecht es in Kalifornien nicht feucht und herbstlich?“
    „Meist riecht es nach Benzin.“ Ich dachte an Reef Point. „Oder manchmal auch nach Gummibäumen und dem Pazifik.“
    „Und wie ist es so, bei den Rothäuten zu leben?“
    Ich warf ihm einen scharfen Blick zu, und er lächelte. „Ehrlich, Jane, ich hatte schreckliche Angst, du würdest Kaugummi kauend und mit Kameras behängt zurückkommen und jedesmal, wenn du eine Bemerkung in meine Richtung machst, sagen ’Yeah, wow!’“ Er sagte das mit einem falschen amerikanischen Akzent, den ich ebenso unerträglich fand wie die Scherze in Kalifornien wegen meiner schrecklich britischen Aussprache.
    Er nahm mein Mißfallen mit einem durchtriebenen Funkeln seiner Augen zur Kenntnis. „Wie geht es deinem Vater?“ fragte er.
    „Er hat sich einen Bart wachsen lassen und sieht aus wie Hemingway.“
    „Kann ich mir vorstellen.“ Ein Wildentenpaar flog vom Himmel herab, landete auf dem Wasser und wirbelte es bei der leichten Berührung zu weißem Schaum auf. Sinclair gähnte, streckte sich, gab mir einen brüderlichen Klaps und sagte, es sei Zeit fürs Frühstück.
    Ich stellte fest, daß ich ausgehungert war. Es gab Eier und Speck, Coopers Orangenmarmelade und heiße bemehlte Brötchen, die, wie ich mich erinnerte, baps hießen. Während ich aß, unterhielten sich Sinclair und meine Großmutter über dies und das – Frühstücksgeplauder, das sich um die Nachrichten in der Lokalzeitung drehte, die Ergebnisse einer Blumenausstellung und einen Brief, den meine Großmutter von einem ältlichen Vetter erhalten hatte, der in einen Ort namens Mortar gezogen war.
    „Weshalb, zum Teufel, ist er dort hingezogen?“
    „Nun, es ist natürlich billiger dort und warm. Der gute Alte hat immer schrecklich unter Rheumatismus gelitten.“
    „Und wie stellt er sich vor, seine Tage zu verbringen? Will er Touristen zur Besichtigung um den Grand Harbour rudern?“
    Ich stellte fest, daß sie über Malta redeten. So wie sie es aussprachen, klang es wie Mortar. Ich war stärker amerikanisiert, als ich gedacht hatte.
    Meine Großmutter schenkte Kaffee ein. Ich betrachtete sie und überlegte, daß sie nun siebzig Jahre alt sein mußte, aber sie sah immer noch genauso aus, wie ich sie in Erinnerung hatte. Sie war groß, würdevoll und eine beeindruckende Erscheinung. Ihr weißes Haar saß stets untadelig, ihre Augen lagen tief unter leicht gebogenen Brauen und waren von einem hellen, durchdringenden Blau. Im Augenblick wirkte sie bezaubernd jugendlich, aber ich wußte, daß sie mit einem einzigen Zucken

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