Ende eines Sommers
Erfahrung. Silvia, mit einem kleinen, bemalten dunkelroten Mündchen. Aylwyn, der komplizenhaft in die Kamera lächelte, sah aus, als halte er die ganze Angelegenheit für einen überaus amüsanten Scherz.
„Nun?“ sagte David schließlich.
„Großmutter hat recht … er sieht genauso aus wie Sinclair … nur daß sein Haar kürzer ist und anders geschnitten, und vielleicht ist er nicht ganz so groß. Und Silvia –“ ich mochte Silvia nicht – „Silvia hat ihn verlassen, als sie erst ungefähr ein Jahr verheiratet waren. Wußten Sie das?“
„Ja, das wußte ich.“
„Deshalb war Sinclair immer in Elvie. Was machen Sie da?“ Er tastete hinten in der Schublade herum. „Hier sind noch ein paar“, sagte er und brachte einen Haufen auf dicken Karton aufgezogene Fotos zum Vorschein, die ganz nach hinten gesteckt worden waren.
„Was sind das für welche?“ Ich legte das Album nieder, das ich in der Hand hielt.
Er drehte sich um. „Noch eine Hochzeit. Wenn ich raten müßte, würde ich sagen, die Ihrer Großmutter.“
Aylwyn war vergessen. „Oh, lassen Sie mal sehen.“
Wir waren nun in den Jahren des Ersten Weltkriegs, der Zeit unpraktischer langer Röcke und riesiger Hüte. Die Gesellschaft war um Stühle gruppiert wie königliche Hoheiten, hohe Kragen, Cutaways und Gesichter mit ungeheuer feierlichem Ausdruck. Meine Großmutter als junge Braut, vollbusig und in Spitzen gehüllt, ihr frischgebackener Ehemann sah kaum älter aus als sie. Er hatte ebenfalls diesen amüsierten, fröhlichen Ausdruck, den auch seine düstere Kleidung und der ungeheure Schnurrbart nicht auslöschen konnten.
„Er sieht sehr heiter aus“, stellte ich fest.
„Ich glaube, das war er wohl auch.“
„Und wer ist das? Der alte Kerl mit Backenbart und Kilt?“
David sah mir über die Schulter. „Vermutlich der Vater des Bräutigams. Ist er nicht großartig?“
„Wer war er?“
„Ich glaube, ein ziemliches Original – nannte sich selbst Bailey of Cairneyhall. Er gehörte zu einer alten Familie hier aus der Gegend. Der Legende zufolge trat er immer mit ungeheuren Allüren und herrschaftlichem Gebaren auf, obwohl er keinen halben Penny in der Tasche hatte.“
„Und der Vater meiner Großmutter?“
„Dieser eindrucksvoll aussehende Gentleman, nehme ich an. Nun, er war von einem völlig anderen Schlag. Ein Börsenmakler aus Edinburgh. Er machte eine Menge Geld und starb als reicher Mann. Und Ihre Großmutter“, fügte er im Anwaltston hinzu, „war sein einziges Kind.“
„Sie meinen … sie war eine reiche Erbin.“
„Das kann man wohl so sagen.“
Ich betrachtete das Bild wieder, die ernsten, unvertrauten Gesichter. Das waren also meine Vorfahren, die Menschen; die mich gemacht hatten, mit all meinen Fehlern und meinen wenigen Stärken, die mir mein Gesicht und meine Sommersprossen und mein helles nordisches Haar vererbt hatten.
„Ich habe noch nicht einmal von Cairneyhall gehört.“
„Können Sie auch gar nicht. Es war so baufällig und klapprig, daß es schließlich abgerissen werden mußte.“
„Dann hat meine Großmutter nie dort gelebt?“
„Ich glaube, ein oder zwei Jahre, vermutlich unter den unbequemsten Umständen. Als ihr Mann starb, zog sie in diese Gegend, kaufte Elvie und ließ ihre Kinder hier aufwachsen.“
„Also …“ Ich unterbrach mich und stellte fest, daß ich, ohne viel darüber nachzudenken, es immer für selbstverständlich gehalten hatte, meine Großmutter sei von ihrem Mann finanziell gut versorgt worden. Aber jetzt sah alles ganz anders aus. Elvie, mit allem Drum und Dran, war von ihrem eigenen Erbe erworben worden und gehörte ausschließlich ihr. Es hatte keine wie auch immer geartete Verbindung zu ihrer Ehe mit Aylwyns Vater.
David sah mich an. „Also?“ drängte er sanft.
„Nichts.“ Es war mir peinlich. Alles was mit Geld zusammenhängt, verursacht mir Unbehagen, ein Zug, den ich von meinem Vater geerbt habe, und so wechselte ich hastig das Thema. „Woher wissen Sie überhaupt soviel über meine Verwandtschaft?“
„Weil ich mich um die Familienangelegenheiten kümmere.“
„Ich verstehe.“
Er klappte das Fotoalbum zu. „Vielleicht sollten wir sie jetzt wegpacken …“
„Ja, natürlich. Und, David … Großmutter muß nicht unbedingt wissen, daß ich all diese Fragen gestellt habe.“
„Ich werde kein Wort verraten.“
Wir legten die Alben und die Fotografien dorthin zurück, wo wir sie gefunden hatten, und schlossen die Schublade. Ich rückte
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