Ende eines Sommers
geschäftsmäßig. Nun aber hatte er mir geholfen, die Fotos zu suchen, die ich ansehen wollte, mit großer Geduld all meine Fragen beantwortet und mich schließlich zum Essen eingeladen. Ich hatte das Gefühl, daß sehr viel mehr an ihm dran war, als ich zuerst gedacht hatte, und die Vorstellung, daß er über mich vielleicht ebenso dachte, war keineswegs unangenehm.
Nach dem Abendessen wurde ich wieder überwältigt von Erschöpfung, Jet-lag oder wie immer man es nennen will. Ich schob die Anstrengungen des morgigen Tages als Entschuldigung vor, sagte den anderen gute Nacht und ging zu Bett, wo ich sofort fest einschlief.
Einige Zeit später weckte mich das Geräusch des Windes, den Gibson prophezeit hatte. Er rüttelte am Haus, pfiff unter meiner Tür durch und schäumte die Wasser des Lochs zu kleinen Wellen auf, die gegen den Kies klatschten. Und neben den Geräuschen der Nacht hörte ich Stimmen.
Ich sah auf die Uhr, stellte fest, daß es noch nicht Mitternacht war, und horchte wieder. Die Stimmen wurden deutlicher, und ich erkannte, daß es die von meiner Großmutter und Sinclair waren. Sie standen draußen auf dem Rasen unter meinem Zimmer, zweifellos hatten sie die Hunde auf eine Runde im Garten hinausgelassen, bevor sie das Haus für die Nacht abschlossen.
„… fand, daß er sehr alt geworden ist.“ Das war Sinclair.
„Ja, aber was soll man denn machen?“
„Ihn in den Ruhestand schicken. Such dir jemand anderes.“
„Aber wo sollen sie denn hin? Von den Jungen hat keiner Familie, sie können sie nicht bei sich aufnehmen. Außerdem, er ist seit fast fünfzig Jahren hier … so lange wie ich. Ich kann ihn doch nicht einfach fortschicken, bloß weil er alt wird. Außerdem, wenn er nichts zu arbeiten hat, wäre er in zwei Monaten tot.“
Voller Unbehagen erkannte ich, daß sie über Gibson sprachen.
„Aber er ist zu dieser Art von Arbeit nicht mehr fähig.“
„Welche Gründe hast du, das zu sagen?“
„Das ist doch ganz offensichtlich. Es ist ihm zuviel geworden.“
„Soweit es mich betrifft, erledigt er seine Arbeit immer noch zu meiner vollständigen Zufriedenheit. Es ist doch nicht so, daß er ständig riesige Jagdgesellschaften organisieren muß. Die Pächter sind –“
Sinclair unterbrach sie. „Das ist auch so eine Sache. Es ist völlig unrentabel, ein fabelhaftes Moor wie dieses an einen oder zwei Geschäftsleute aus Caple Bridge zu verpachten. Was sie dir zahlen, deckt nicht einmal annähernd die Kosten für Gibsons Unterhalt.“
„Die ein oder zwei Geschäftsleute, Sinclair, sind zufällig meine Freunde.“
„Das hat damit nichts zu tun. Soweit ich sehen kann, betreiben wir eine Art Wohltätigkeitsorganisation.“
Es entstand eine Pause, dann korrigierte ihn meine Großmutter kühl: „Ich scheine eine Art von Wohltätigkeitsorganisation zu betreiben.“
Die eisige Kälte ihrer Stimme hätte mich zum Schweigen gebracht, Sinclair jedoch war dagegen offenbar unempfindlich. Ich fragte mich, wieviel von seinem Mut den Brandys nach dem Essen zu verdanken war.
„In diesem Fall“, sagte er, „schlage ich vor, daß du damit aufhörst. Schick Gibson in Pension und verkauf das Moor oder verpachte es wenigstens an jemanden, der in der Lage ist, eine vernünftige Pacht dafür zu bezahlen.“
„Ich habe dir bereits gesagt …“
Ihre Stimmen wurden schwächer und entfernten sich. Ich stellte fest, daß ich starr in meinem Bett lag, mir war elend, weil ich gezwungen gewesen war, etwas zu hören, was nicht für meine Ohren bestimmt war. Der Gedanke, daß sie sich stritten, machte mich ganz krank, aber schlimmer war der Anlaß, aus dem sie sich stritten.
Gibson. Ich dachte daran, wie er früher gewesen war, stark und unerschütterlich, ein nie versiegender Quell alter Bauernregeln, volkstümlicher Weisheiten und Überlieferungen. Ich erinnerte mich daran, wie er – unendlich geduldig – Sinclair Schießen und Angeln beigebracht und unzählige Fragen beantwortet hatte und wir uns an seine Fersen hefteten wie junge Hunde. Und Mrs. Gibson, die uns verwöhnt und gehätschelt hatte, uns Süßigkeiten gekauft und mit heißen, ofenfrischen Scones gefüttert hatte, von denen die dicke gelbe, selbstgemachte Butter tropfte.
Es war unmöglich, die Vergangenheit und die Gegenwart in Übereinstimmung zu bringen – den Gibson, an den ich mich erinnerte, und den alten Mann, den ich heute gesehen hatte. Noch schwerer aber wurde ich damit fertig, daß mein Vetter Sinclair so
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