Ende eines Sommers
Kamin flackerte ein Feuer. Das Zimmer wurde von einem Paar Lampen sanft beleuchtet, und das Licht der Flammen spiegelte sich in dem messingnen Kamingitter, dem Kohleneimer und den liebevoll polierten Holzmöbeln im Zimmer. Überall waren Blumen, Schachteln voller Zigaretten, und auf einem kleinen Tisch, der als Bar diente, standen ordentlich in einer Reihe Flaschen und Gläser, ein Eiskübel und eine kleine Schale Nüsse.
Auf der anderen Seite des Zimmers, neben dem Kamin, stand eine bauchige alte Vitrinenkommode mit verglasten Bücherregalen oben und drei tiefen, schweren Schubladen darunter. Ich ging hinüber, rückte einen kleinen Tisch aus dem Weg und kniete mich hin, um die unterste Schublade zu öffnen. Einer der Griffe war kaputt, die Schublade war sehr schwer, und ich kämpfte damit, als ich hörte, wie die Tür aufging und jemand hereinkam. Ich fühlte mich ertappt und fluchte insgeheim, hatte aber nicht mehr genug Zeit, um auf die Füße zu kommen. Genau hinter mir ertönte eine amüsierte Stimme: „Guten Abend.“
Es war David Stewart. Ich drehte mich zu ihm um und stellte fest, daß er unerwartet romantisch aussah in seinem dunkelblauen Dinnerjackett.
Zu überrascht, um höflich zu sein, stotterte ich: „Äh, ich hatte vollkommen vergessen, daß Sie zum Essen kommen.“
„Ich fürchte, ich bin ein bißchen zu früh. Es schien niemand dazusein, deshalb habe ich mich selbst hereingelassen. Was machen Sie da? Suchen Sie einen Ohrring, oder spielen Sie Verstecken?“
„Weder noch. Ich versuche, diese Schublade aufzube-kommen.“
„Weshalb?“
„Sie war früher immer voller Fotoalben. Und sie ist so schwer, daß ich annehme, sie ist es immer noch.“
„Lassen Sie es mich mal versuchen.“
Ich rückte gehorsam zur Seite. Er hockte sich auf seinen langen Beinen hin, nahm die beiden Griffe, lockerte die Schublade sanft und zog sie auf.
„Es sieht so einfach aus“, sagte ich, „wenn es jemand anders macht.“
„Ist es das, wonach Sie gesucht haben?“
„Richtig.“ Es waren drei alte, mit Fotos vollgestopfte Alben, die zusammen ungefähr eine Tonne wogen.
„Hatten Sie vor, sich einer langen nostalgischen Sitzung hinzugeben? Angesichts dieser Menge werden Sie dafür wohl den Rest des Abends brauchen.“
„Nein, natürlich nicht. Aber ich möchte nachsehen, ob ein Bild von Sinclairs Vater dabei ist … Ich dachte, vielleicht gibt es irgendein Gruppenfoto von einer Hochzeit.“
Es entstand ein kurzes Schweigen. Dann fragte er: „Woher dieser plötzliche Wunsch, ein Foto von Aylwyn Bailey zu finden?“
„Nun, es hört sich vielleicht lächerlich an, aber ich habe nie eins gesehen. Ich meine, Großmutter hatte nie eins rumstehen. Ich glaube nicht einmal, daß in ihrem Zimmer eins ist … Ich kann mich nicht daran erinnern. Das ist doch komisch, oder nicht?“
„Nicht unbedingt. Nicht wenn man sie kennt.“
Ich beschloß, ihn ins Vertrauen zu ziehen. „Wir haben heute über ihn gesprochen. Sie sagte, er sah aus wie Sinclair, und er sei sehr charmant gewesen. Ihr zufolge brauchte er nur einen Raum zu betreten, und die Frauen lagen ihm scharenweise zu Füßen. Ich habe ihm nicht viel Beachtung geschenkt, als ich klein war … er war einfach Sinclairs Vater in Kanada. Aber … ich weiß auch nicht … plötzlich wurde ich ganz neugierig.“
Ich hob den obersten Band hoch und schlug ihn auf, doch die Fotos waren erst zehn Jahre alt, deshalb griff ich weiter unten in die Schublade und holte den untersten hervor. Es war ein hübsches Album, in Leder gebunden, und alle Fotografien – inzwischen verblaßt und mit einem leichten Stich ins Sepiafarbene – waren mit geometrischer Präzision eingeklebt und mit weißer Tinte beschriftet worden.
Ich schlug die Seiten um. Jagdgesellschaften und Picknicks, Gruppenfotos und Studioporträts mit gemalten Hintergründen und Topfpalmen. Ein Mädchen in einer Federboa und ein schwarzbestrumpftes Kind (meine Mutter) als Zigeunerin verkleidet.
Und dann eine Hochzeitsgesellschaft. Meine Großmutter, stattlich in einem sehr langen Kleid und einem Kopfputz, der wie ein Samtturban aussah. Meine Mutter, heiter lächelnd, als sei sie finster entschlossen, amüsiert auszusehen. Mein Vater, jung und schlank, sauber rasiert und mit Leidensmiene. Vielleicht war sein Kragen zu eng. Ein unbekanntes Mädchen als Brautjungfer und schließlich die Braut und der Bräutigam, Silvia und Aylwyn. Ihre jungen Gesichter waren rund und erstaunlich unberührt von irgendwelcher
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