Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ende eines Sommers

Ende eines Sommers

Titel: Ende eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Pilcher
Vom Netzwerk:
kannst du so sicher sein?“
    Ich antwortete nicht, ich konnte nicht von meinen inneren Spannungen sprechen, dem Zusammenziehen meines Magens bei der Berührung seiner Hand … Tatsache war, daß ich nicht wußte, ob dieses Zusammenziehen etwas mit Sex zu tun hatte oder – Angst? Merkwürdig, daß mir dieses Wort beim Gedanken an Sinclair einfiel. Auf einmal drängte das Gespräch, das ich letzte Nacht mitangehört hatte, aus den Tiefen meines Unterbewußtseins wieder an die Oberfläche, und ich quälte mich damit wie ein Hund mit einem alten, unappetitlichen Knochen. Ich sagte mir, ich hätte nach meiner Großmutter sehen sollen, bevor ich am Morgen aufgebrochen war. Ein Blick auf ihr Gesicht, und ich hätte gewußt, wo der Hase im Pfeffer lag. Aber sie war vor unserem Aufbruch nicht erschienen, und wenn sie schlief, wollte ich sie nicht stören.
    Ich bewegte mich unbehaglich, und Sinclair sagte: „Was ist los? Du bist ganz verspannt. Hast du irgendwelche geheimen Ängste? Eine Art Schuldkomplex?“
    „Weshalb sollte ich mich wohl schuldig fühlen?“
    „Das mußt du mir sagen. Vielleicht weil du deinen Vater allein gelassen hast?“
    „Dad? Du machst wohl Witze.“
    „Du meinst, du warst ganz glücklich, den Staub von Reef Point, Kalifornien, von deinen hübschen Fersen zu schütteln?“
    „Ganz und gar nicht. Aber Dad wird im Augenblick mehr als gut versorgt, und einen Schuldkomplex hat er absolut nicht verdient.“
    „Dann muß es etwas anderes sein.“ Sein Daumen bewegte sich leicht über meine Wange. „Ich weiß, es ist der liebeskranke Rechtsanwalt.“
    „Der was?“ Jetzt war meine Überraschung wirklich echt.
    „Der Rechtsanwalt. Du weißt schon, der alte, trockene Rankeillor persönlich.“
    „Zitate von Robert Louis Stevenson bringen uns auch nicht weiter! Ich weiß immer noch nicht, wovon du sprichst.“ Aber natürlich wußte ich es.
    „David Stewart, mein Schatz. Hast du nicht gemerkt, daß er gestern abend seine Augen nicht von dir abwenden konnte? Während des gesamten Abendessens hat er dich angesehen, mit einem lüsternen Funkeln im Auge. Ich muß schon sagen, du warst auch ein reichlich appetitlicher Anblick. Wo hast du dieses orientalisch anmutende Gewand her?“
    „Aus San Francisco. Du bist einfach albern.“
    „Überhaupt nicht … ehrlich, man konnte es schon von weitem sehen. Wie gefällt dir die Idee, einem alten Mann den zweiten Frühling zu versüßen?“
    „Sinclair, er ist nicht alt.“
    „Ich nehme an, so ungefähr fünfunddreißig, meine Liebe.“ Seine Stimme nahm den zuckersüßen Ton einer vertrockneten Herzogswitwe an. „Und so ein netter Junge.“
    „Du bist einfach gemein.“
    „Das bin ich.“ Ohne die Miene zu verändern, fuhr er fort: „Wann gehst du zurück nach Amerika?“
    Ich war überrumpelt. „Warum?“
    „Ich will es nur wissen.“
    „In einem Monat?“
    „So bald schon? Ich hatte gehofft, du bleibst. Verläßt deinen Vater und schlägst Wurzeln im Land deiner Ahnen.“
    „Ich mag meinen Vater zu sehr, um ihn zu verlassen. Und außerdem, was sollte ich hier tun?“
    „Einen Job annehmen?“
    „Du sprichst wie Großmutter. Ich kann gar keinen Job annehmen, denn ich habe nichts gelernt.“
    „Du könntest Sekretärin werden.“
    „Nein, das kann ich nicht. Jedesmal wenn ich versuche etwas zu tippen, kommt ein Haufen Fehler dabei heraus.“
    „Du könntest heiraten.“
    „Ich kenne niemanden.“
    „Du kennst mich“, sagte Sinclair.
    Sein Daumen, der meine Wange streichelte, hielt plötzlich still. Nach einer Weile setzte ich mich auf und drehte mich um, damit ich ihn ansehen konnte. Seine Augen waren
    blauer als der Himmel, aber ihr klarer Blick verriet absolut nichts.
    „Was hast du gesagt?“
    „Ich sagte, du kennst mich.“ Seine Hand bewegte sich, er ergriff mein Handgelenk und umringte es leicht mit seinen Fingern.
    „Das kann nicht dein Ernst sein.“
    „Wirklich? Na gut, dann tun wir so, als wäre es mein Ernst. Was würdest du sagen?“
    „Na ja, zunächst einmal wäre das praktisch Inzest.“
    „Blödsinn.“
    „Und warum ich?“ Allmählich erwärmte ich mich für das Thema. „Du weißt sehr gut, daß du mich immer häßlich fandest wie die Nacht, schließlich hast du mir das ständig erzählt …“
    „Jetzt nicht mehr. Du bist nicht mehr häßlich. Du hast dich in eine hinreißende Wikingerin verwandelt.“
    „… und ich habe nicht eine einzige Begabung. Ich kann noch nicht einmal Blumen arrangieren.“
    „Warum,

Weitere Kostenlose Bücher