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Ende eines Sommers

Ende eines Sommers

Titel: Ende eines Sommers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosemarie Pilcher
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erklärte mir, das sei so, weil das Wasser hier frisch über die Kalksteinfelsen flösse und nicht vom Torf verschmutzt sei. Wir blieben eine Weile stehen, bis er mahnte, wir hätten keine Zeit zu verlieren und müßten uns auf den Weg machen.
    Um uns anzuspornen, sangen wir wieder, wobei wir darin wetteiferten, wer sich besser an die Texte erinnerte. Irgendwann stieg unser Weg steil an, er führte über die Schulter eines hohen Berges, und wir hörten auf zu singen, denn wir brauchten alle Luft, um nicht aus der Puste zu kommen. Der Boden war dick mit alten Heidekrautwurzeln gepolstert und sehr sumpfig, bei jedem Schritt quoll dunkler Schlamm neben meinen Schuhen auf. Meine Beine und mein Rücken begannen zu schmerzen, und ich bekam kaum noch Luft. Ich versuchte mir Nahziele zu setzen – diese Bergschulter noch und dann die folgende Höhe, aber es schien, als gäbe es immer einen weiteren Gipfel, der dahinter wartete. Es war sehr entmutigend.
    Und dann, als ich schon die Hoffnung aufgeben wollte, jemals an irgendein Ziel zu kommen, tauchte vor uns ein schwarzer Bergzacken auf. Die zerklüftete Spitze stach in das Blau des Himmels, und die steile Wand fiel mindestens tausend Fuß ab in ein enges braunes Tal.
    Ich blieb stehen und streckte die Hand aus. „Sinclair, was ist das?“
    „Der Teufelsgipfel.“ Er hatte eine Karte. Wir setzten uns, er entfaltete sie, strich sie gegen den Wind glatt und sah nach, wie die Gipfel um uns herum hießen: Ben Vrottan und Cairn Toul, Ben Macdui und der lange Kamm, der zu den Cairngorms führte.
    „Und dieses Tal?“
    „Glen Dee.“
    „Und der kleine Bach?“
    „Der kleine Bach, wie du ihn nennst, ist der mächtige Dee höchstpersönlich, natürlich in seinem Frühstadium.“ Es war allerdings kaum zu glauben, daß dieser bescheidene Bach mit dem majestätischen Fluß identisch war, den wir am Morgen gesehen hatten.
    Wir aßen etwas Schokolade und setzten uns wieder in Marsch. Glücklicherweise ging es nun bergab, jetzt hatten wir den langen Weg vor uns, der zum Lairig Ghru führte. Er wand sich wie eine weiße Kritzelschrift im braunen Gras, stieg sanft an zu einem entfernten Punkt am Horizont, wo Berge und Himmel sich zu treffen schienen. Wir gingen und gingen, der Teufelsgipfel türmte sich vor uns auf und blieb hinter uns zurück. Wir waren allein – wirklich allein. Keine Kaninchen, keine Hasen, kein Wild, kein Moorhuhn. Kein Adler. Nichts durchbrach die Stille. Keine lebende Kreatur rührte sich. Nur das Geräusch unserer eigenen Schritte und Sinclairs Pfeifen waren zu hören.
     
    „Viel Fleisch und viel Fisch,
    gut zu essen auf dem Tisch,
    viele Söhne hübsch und frisch,
    das wünschen wir dir, Mairi.“
     
    Jetzt kam eine Hütte in Sicht, ein steinerner Unterstand, der sich auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses an den Fuß des Berges duckte.
    „Was ist das?“ fragte ich.
    „Eine Schutzhütte, die Bergsteiger oder Wanderer bei schlechtem Wetter benutzen.“
    „Wie sind wir in der Zeit?“
    „Gut.“
    „Ich hab ein bißchen Hunger.“
    Er grinste mich über die Schulter an.
    „Wenn wir bei der Hütte ankommen, essen wir“, versprach er.
     
    Nach dem Essen lagen wir träge auf dem Rücken, mit dem blühenden Gras als Polster, Sinclair hatte den Kopf auf seinen Pullover gebettet. Ich lag nun mit dem Kopf auf seinem Bauch, sah zu dem wolkenlosen blauen Himmel auf und überlegte, wie seltsam es doch war, mit einem Vetter zusammenzusein – manchmal waren wir uns so nah wie Bruder und Schwester, aber dann wieder gab es eine merkwürdige Befangenheit zwischen uns. Ich dachte, das müsse daran liegen, daß wir keine Kinder mehr waren … daran, daß ich Sinclair ungeheuer attraktiv fand. Aber auch das konnte meine instinktive Zurückhaltung nicht völlig erklären, es war mir, als schlüge irgendwo ganz hinten in meinem Kopf eine Glocke Alarm.
    Eine Fliege, eine Mücke, irgendein Insekt landete auf meinem Gesicht, und ich wischte es fort. Es setzte sich wieder.
    „Verflixt“, sagte ich.
    „Was ist?“ kam es schläfrig von Sinclair. „Eine Fliege.“
    „Wo?“
    „Auf meiner Nase.“
    Seine Hand erschien, um die Fliege wegzuscheuchen. Sie legte sich um meine Wange und blieb da liegen, seine Finger umfaßten mein Kinn.
    „Wenn wir einschlafen, werden wir beim Aufwachen feststellen, daß Gibson mit der gesamten Mannschaft der Bergwacht über den Paß angerückt kommt, um nach uns zu suchen“, murmelte er.
    „Wir schlafen schon nicht ein.“
    „Wie

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