Ende eines Sommers
sahen, und Gibson mit dem Landrover, der auf der Straße wartete, konnte ich kaum glauben, daß wir es tatsächlich geschafft hatten. Ich lief die letzten paar Schritte, kletterte über das Tor und fiel ins Auto. Mir tat jeder Muskel weh, und als ich versuchte, mir eine Zigarette anzuzünden, merkte ich, daß meine Hände zitterten.
Wir fuhren durch die blaue Dämmerung nach Hause. Im Osten hing eine feine Mondsichel niedrig am Himmel, blaß und zart wie eine Augenwimper. Die Scheinwerfer drangen durch das Dunkel der Straße vor uns, ein Kaninchen hoppelte in Sicherheit, die Augen eines streunenden Hundes glitzerten wie Zwillingsperlen und huschten vorbei. Über mich hinweg unterhielten sich die beiden Männer, aber ich sackte in mich zusammen, niedergedrückt von einer Erschöpfung, die nicht ausschließlich körperliche Ursachen hatte.
In dieser Nacht wurde ich vom Klingeln des Telefons geweckt. Das Schrillen schnitt durch meine Träume und riß mich wie einen Fisch am Haken aus dem Schlaf. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war, aber als ich den Kopf hob, sah ich, daß der Mond hoch über dem Loch hing, sein Spiegelbild betupfte das schwarze Wasser mit kleinen silbernen Pinselstrichen.
Es klingelte immer weiter. Benommen stolperte ich aus dem Bett, durch mein Zimmer und auf den dunklen Treppenabsatz. Das Telefon war unten, in der Bibliothek, aber es gab auch oben einen Anschluß, in dem Korridor, der zu den alten Kinderzimmern führte, und dorthin wendete ich mich in meinem halbwachen Zustand.
Irgendwann mußte inzwischen das Klingeln aufgehört haben, aber ich war zu schläfrig, um das zu registrieren. Als ich das Telefon erreichte und den Hörer aufnahm, sprach bereits jemand. Es war eine weibliche Stimme, mir unbekannt, aber sie hatte eine angenehme Tonlage und klang sehr anziehend. „Natürlich bin ich sicher. Ich war heute nachmittag beim Arzt, und er sagt, es gäbe überhaupt keinen Zweifel. Sieh mal, ich finde, wir sollten über all das sprechen … ich möchte dich ohnehin gern sehen, aber ich kann nicht weg …“
Benommen lauschte ich. Ich vermutete, daß es eine falsche Verbindung war. Das Mädchen bei der Vermittlung in Caple Bridge mußte einen Fehler gemacht haben, vielleicht war sie auch eingeschlafen oder so etwas. Dieser Anruf war nicht für uns. Ich wollte schon sprechen, als die Stimme eines Mannes die Frau unterbrach. Plötzlich war ich bei klarem Bewußtsein.
„Ist das wirklich so dringend, Tessa? Kann es nicht warten?“
Sinclair. Am anderen Apparat.
„Natürlich ist es dringend … Wir haben keine Zeit zu verlieren …“ Und dann, weniger ruhig, fast ängstlich: „Sinclair, ich bekomme ein Kind …“
Vorsichtig legte ich den Hörer zurück. Das Gerät machte ein leises Klick, und die Stimmen waren ausgelöscht. Zitternd stand ich in der Dunkelheit, drehte mich dann um, ging zurück zum Treppenabsatz und beugte mich über das Geländer, um zu horchen. Unter mir gähnten schwarz die Treppen und die Halle. Durch die geschlossene Tür der Bibliothek aber drang unmißverständlich das Gemurmel von Sinclairs Stimme.
Meine Füße waren eiskalt. Frierend ging ich zurück in mein Zimmer, schloß leise die Tür und legte mich zurück ins Bett. Jetzt hörte ich, wie das Telefon ein einziges Mal klingelte, und wußte, daß das Gespräch beendet war. Kurz darauf kam Sinclair leise die Treppe hoch. Er ging in sein Zimmer, und ich hörte gedämpfte Geräusche, als er umherging, Schubladen öffnete und schloß. Dann kam er wieder heraus und ging hinunter. Die Vordertür öffnete und schloß sich wieder, und Augenblicke später hörte ich, wie mit dem Grollen eines Tigers der Lotus anfuhr, den Weg hinunterbrummte auf die Hauptstraße – dann war er fort.
Ich merkte, daß ich zitterte, so heftig, wie ich zuletzt in meiner Kindheit gezittert hatte, wenn ich aus einem Alptraum aufwachte und überzeugt war, in meinem Schrank würden sich Gespenster verstecken.
8
A ls ich am nächsten Morgen hinunterkam, saß meine Großmutter bereits am Frühstückstisch. Ich beugte mich zu ihr, um ihr einen Kuß zu geben.
„Sinclair ist nach London gefahren“, sagte sie.
„Woher weißt du das?“
„Er hat in der Diele einen Brief hinterlassen …“ Sie fischte ihn aus der übrigen Post und reichte ihn mir. Er hatte dickes Schreibpapier benutzt, auf dessem Kopf Elvie geprägt war, seine Handschrift war fest und kräftig.
Tut mir furchtbar leid, muß ein oder zwei Tage
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