Ende (German Edition)
nimmt das gesamte Himmelsgewölbe ein, ruhig, klar, wird immer deutlicher sichtbar, je mehr sich die Pupillen entspannen und weiten.
Nach einigen Minuten, nach der Anfangsphase selbstvergessener Bewunderung, tauchen Fragen auf.
«Das muss ein Stromausfall sein, ein totaler Stromausfall, sonst wären nicht so viele …»
«Ob es ein totaler Stromausfall ist, muss sich erst noch erweisen. Vielleicht hat es nur einen Störfall gegeben, und ein Kraftwerk muss wieder hochgefahren werden.»
«Nein, das hier ist was Größeres. Es ist nirgendwo ein Licht zu sehen.»
«Wir sind ja auch weitab vom Schuss.»
«Eins verstehe ich nicht: Wie konnte der Himmel so schnell aufreißen? Gerade eben war ich noch draußen …»
«Und was ist mit dem Blitz? Woher kam der Blitz, wenn doch kein Wölkchen zu sehen ist?»
«Welcher Blitz?»
«Hast du ihn nicht gesehen?»
«Wahrscheinlich ein Trockengewitter.»
«Trockengewitter? Es gibt vielleicht Gewitter ohne Regen, aber keine Blitze ohne Wolken.»
«Ist doch egal! Spürt ihr diesen Wind? Nicht zu warm und nicht zu kalt.»
«Der Wind hat die Wolken vertrieben.»
Die vier Männer und fünf Frauen bilden in der Mitte des Platzes einen Fächer. Ihre Gesichter schimmern blass im Licht der Sterne. Wer wer ist, lässt sich nur an der Stimme erkennen, an der Statur, an der besonderen Form der Frisur. Die Gesichtszüge sind undeutlich, werden immer trügerischer, je mehr man versucht, im milchigkalten Licht der Sterne etwas auszumachen. Auch die Umgebung ist eine dunkle Masse. Ob sich die Baumwipfel im Wind wiegen oder lediglich die Sinne einen Streich spielen, lässt sich nicht sagen. Die Stimmen jedoch sind deutlich zu hören, und die Brise, die über den Platz streicht, ist warm und zuversichtlich, geradezu unstofflich.
«Nieves, wo ist der Sicherungskasten?», fragt Hugo und schaut nach links, wo ihre kindliche Stimme zuletzt zu hören war.
«Gleich neben der Tür rechts», antwortet sie. «In einem kleinen Schränkchen, der Schlüssel liegt obendrauf.»
«Wollt ihr wirklich schon wieder Licht anmachen?», meldet sich Amparo zu Wort. «Bei so einem Naturschauspiel?»
«Ich will nur wissen, ob wir Strom haben.»
«Ja, das müssen wir unbedingt überprüfen», pflichtet Ibáñez Hugo bei. «Diese totale Dunkelheit macht mich ganz krank. Nicht ein Schimmer am Horizont.»
«Hat jemand eine Taschenlampe dabei?», will Hugo wissen.
«Ja, ich, aber die ist im Auto», antwortet Amparo.
«Im Auto, na super!»
Hugos bissiger Bemerkung folgt Schweigen. Schließlich ergreift María das Wort.
«Rafa hat eine. Er hat uns vier den Weg hier runter geleuchtet.»
Wieder tritt Schweigen ein, das diesmal länger anhält. Rafa hat noch kein Wort gesagt, seit der Strom ausgefallen ist. Niemand weiß, wo er steht.
«Die Taschenlampe ist im Schlafzimmer», sagt Maribel schließlich. «In unserem Koffer.»
«Du machst es mir nicht gerade leicht», beschwert sich Hugo.
«Du kannst dir ja mit deinem Handy den Weg leuchten», schlägt María vor.
«Handys leuchten einen Scheiß! Außerdem habe ich kaum noch Batterie», schimpft Hugo und kramt in seiner Hosentasche. Schließlich zieht er einen kleinen Gegenstand heraus. Ein merkwürdiges Geräusch ertönt, ein dumpfes Klacken.
«Scheiße, es funktioniert nicht!»
«Was funktioniert nicht?»
«Dieses verfluchte Feuerzeug!», schimpft er und drückt wie wild den Anzünder. «Ausgerechnet jetzt! Dabei habe ich es gerade eben noch benutzt.»
«Warte», sagt Ginés. «Mal sehen, ob meins funktioniert.»
Wegen seiner großen Statur ist Ginés am besten zu erkennen. Gespannt verfolgen alle, wie seine undeutliche Gestalt sich bewegt und wieder zur Ruhe kommt.
Beim ersten Versuch schlagen nur Funken zwischen Ginés’ Finger. Beim zweiten Versuch geht das Feuerzeug an, eine Flamme leuchtet auf, die in der Dunkelheit warm und hell wirkt. Sie flackert kurz im Wind und erlischt, als Ginés den Daumen vom Anzünder nimmt und das Feuerzeug Hugo überreicht, der einen Schritt auf ihn zugekommen ist.
«Der reichste Pinkel von uns allen», sagt Hugo, «hat ein BIC-Feuerzeug von der Tankstelle.»
Ginés geht nicht auf die Bemerkung ein. Hugo macht sich zum Gebäude auf, dessen Tür nur dadurch zu erkennen ist, dass sie noch dunkler ist als die Fassade.
«Soll ich mitkommen?», fragt Nieves.
«Nicht nötig. Scheint mir nicht so kompliziert zu sein.»
Weil Hugo dunkle Kleidung trägt und der Gruppe den Rücken zukehrt, wird seine Gestalt ohne die
Weitere Kostenlose Bücher