Ende (German Edition)
geöffnet, sodass Luft – wenn auch heiße, trockene Luft – durchs Haus weht. Nur Ginés ist nicht da. Ohne sein Brot aufzuessen, ist er nach draußen gegangen, um die Umgebung zu erkunden.
«Das hier erinnert mich an Goldlöckchen und die drei Bären », sagt Ibáñez und hört kurz auf, mit der Gabel in einer kleinen Konservenbüchse zu stochern.
«Was ist das? Ein Märchen?», fragt Nieves mit vollem Mund, das Brot in beiden Händen.
«Kennst du das nicht?»
«Kommt mir schon irgendwie bekannt vor, aber …»
«Ein kleines Mädchen entdeckt ein Häuschen, bei dem die Tür offen steht», fängt Ibáñez an zu erzählen. «Und in dem Häuschen steht Essen auf dem Tisch, sind die Betten ordentlich gemacht, viele Betten, genauso viele Betten wie Teller auf dem Tisch, denn es ist eine große Familie, eine typische Familie für die damalige Zeit, also fünf oder sechs Kinder. Das Mädchen isst einen der Teller leer, trinkt eines der Gläser aus und legt sich dann in eines der Betten, um zu schlafen. Dann stellt sich heraus, dass in dem Häuschen keine Menschen wohnen, sondern Bären, und dass die Bären vor dem Mittagessen nur einen Spaziergang gemacht haben.»
«Ich fange an zu begreifen, worauf du hinauswillst. Wie geht die Geschichte aus?»
«Ich weiß es nicht mehr. Mir fallen nur Bearbeitungen ein, Parodien, ein Comic, sogar eine Pornoversion, bei der Goldlöckchen längst aus der Pubertät raus ist, oben kahl rasiert, während sie unten …»
«Es reicht», fällt ihm Amparo ins Wort.
«Schon gut, das Ende ist ja auch nicht so wichtig. Ich wollte nur sagen, dass mich die Atmosphäre hier an dieses Märchen erinnert: unschuldig und doch unheimlich. Das Haus ist ziemlich klein, wie aus einem Märchen eben. Jetzt mal ehrlich: Hattet ihr nicht auch das mulmige Gefühl, dass gleich Gevatter Bär hier reinspaziert?»
«Das Haus ist wirklich klein, da hast du recht», pflichtet María ihm bei und streckt ihren Kopf über die Sofalehne. «Insgesamt nur zwei Zimmer.»
«Ich finde es schnucklig», sagt Maribel und blickt sich um.
«Total schnuckelig», meldet sich Ibáñez zu Wort, «mal abgesehen von den Bildern, den Möbeln, den Türen, den Lampen und dieser Geschmacksverirrung rund um den Kamin.»
«Scheint mir ein Rentnerpaar zu sein. Oder ein kinderloses Paar», vermutet Nieves. «Auf dem Foto im Schlafzimmer sind jedenfalls keine Kinder.»
«Jung sind sie eher nicht», bemerkt Cova und hebt den Blick vom Teller, auf den sie bis dahin konzentriert geschaut hat.
«Wie kommst du darauf?», fragt Ibáñez.
«Ich weiß nicht … Wegen der Einrichtung, wegen all dem Nippes.»
«Und wenn sie mal Gäste haben?», rätselt Amparo. «Wo bringen sie die unter?»
«Bestimmt ist das hier ein Bettsofa», vermutet Maribel mit Blick zwischen ihre Beine. «Und ins Bad kommt man ja auch über den Flur.»
«Zwei Waschbecken sollten es schon sein», gibt Nieves zu bedenken. «Selbst wenn man keine Kinder hat. Sonst ist der Streit vorprogrammiert.»
«Ich begreife nicht, wie du diesen Fraß essen kannst», greift Hugo plötzlich Ibáñez an. «Und dann auch noch Kekse dazu.»
«Und ich begreife nicht, wie ihr Brot essen könnt, das nicht mehr knusprig ist», erwidert Ibáñez. «Wenn man reinbeißt, gibt es nach wie ein Kissen, und wenn man abbeißt, muss man es festhalten wie blöd: nein danke!»
«Mir geht’s mit Bier so», erklärt María und schaut auf ihre Flasche. «Wenn es nicht so kalt ist, dass das Glas beschlägt, trinke ich lieber Wasser.»
«Wir hatten Glück, dass der Kühlschrank zu war», sagt Amparo. «So waren die Sachen wenigstens ein bisschen kühl.»
«Brot mit Chorizo oder Käse: Das ist ein richtiges Essen», stichelt Hugo weiter gegen Ibáñez. «Aber doch nicht Butterkekse mit … Was ist das eigentlich?»
«Calamares in amerikanischer Soße», antwortet Ibáñez. «Schön scharf.»
«Igitt! Wenn die Calamares wenigstens warm wären. Und dann sind die Kekse auch noch süß.»
«Sardinen habe ich eben keine gefunden. Die hätte ich gezuckert und fertig.»
«Gezuckert?», fragt Isabel entsetzt.
«Ja, gezuckert, meine Liebe. Schmeckt großartig.»
«Könnte einer mal den Zucker verstecken», bittet María. «Ich traue diesem Kerl tatsächlich zu, dass er …»
«Jetzt hab dich nicht so!», beschwert sich Ibáñez. «In den nordischen Ländern ist es durchaus üblich, Fisch mit Zucker zu konservieren.»
«Hugo», sagt Nieves plötzlich ernst. «Ich wäre dir sehr dankbar, wenn
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