Ender 4: Enders Kinder
Lagen über die Lichtung ausbreitete. Nein, es war das seltsame, tanzende Licht, das überall dort, wo die Borke dünn war, den Stamm hinauf- und hinunterspielte, ein Licht so weiß und blendend, daß er es kaum ansehen konnte. Manchmal dachte er, daß es nur ein einziges kleines Licht gäbe, das so schnell dahinjagte, daß es den ganzen Baum erglühen ließ, bevor es zurückkehrte, um den Pfad von neuem nachzuzeichnen; manchmal schien es, daß es der ganze Baum war, der von dem Leuchten erfaßt war, davon pulsierte, als berge er einen Vulkan aus Leben, der kurz vor dem Ausbruch stand. Das Glühen erstreckte sich längs der Äste des Baumes, bis hinaus in die dünnsten Zweige; die Blätter glitzerten davon; und die pelzigen Schatten der Baby-Pequeninos krochen schneller längs des Baumstammes, als Olhado es für möglich gehalten hatte. Es war, als sei ein kleiner Stern vom Himmel gefallen, um sich im Innern des Baumes niederzulassen.
Nachdem der blendende Glanz des Lichts jedoch den Reiz des Neuen verloren hatte, bemerkte Olhado etwas anderes – bemerkte tatsächlich das, was die Pequeninos selbst am meisten anstaunten. Der Baum trug Blüten. Und manche der Blüten waren schon aufgegangen, und hinter ihnen wuchsen schon Früchte, so schnell, daß man ihnen dabei zusehen konnte.
»Ich dachte«, sagte Olhado leise, »die Bäume könnten keine Früchte tragen.«
»Das konnten sie auch nicht«, antwortete Pflüger. »Die Descolada hat sie dessen beraubt.«
»Aber was ist dann das?« sagte Olhado. »Warum ist Licht im Baum? Warum wachsen die Früchte?«
»Der Vaterbaum Mensch sagt, daß Ender seine Freundin zu uns gebracht hat. Die, die Jane genannt wird. Sie stattet den Mutterbäumen in sämtlichen Wäldern einen Besuch ab. Aber selbst er hat uns nichts von diesen Früchten gesagt.«
»Sie duften so stark«, sagte Olhado. »Wie können sie so schnell reifen? Sie duften so stark und so süß und so durchdringend, daß ich sie beinahe schmecken kann, wenn ich bloß die Luft der Blüten einatme, den Geruch der reifenden Früchte.«
»Ich erinnere mich an diesen Duft«, sagte Pflüger. »Ich habe ihn noch nie zuvor im Leben gerochen, weil kein Baum jemals erblüht ist und keine Früchte jemals gewachsen sind, aber ich kenne diesen Duft. Für mich riecht es nach Leben. Er riecht nach Freude.«
»Dann eßt sie«, sagte Olhado. »Sieh – eine von ihnen ist schon reif, hier, ich kann sie mit einem Griff erreichen.« Olhado hob die Hand, zögerte dann aber. »Darf ich?« fragte er. »Darf ich eine Frucht vom Mutterbaum pflücken? Nicht für mich zum Essen – für dich.«
Pflüger schien mit seinem ganzen Körper zu nicken. »Bitte«, flüsterte er.
Olhado umfaßte die schimmernde Frucht. Zitterte sie unter seiner Hand? Oder war es nur sein eigenes Zittern?
Olhado packte die feste, aber schon weicher werdende Frucht und pflückte sie sanft vom Baum. Wie leicht sie sich löste! Er bückte sich und überreichte sie Pflüger. Pflüger verbeugte sich und nahm sie ehrfurchtsvoll entgegen, hob sie an die Lippen, leckte daran, öffnete dann den Mund.
Öffnete den Mund und biß hinein. Ihr Saft glänzte auf seinen Lippen; er leckte sie sauber; er kaute; er schluckte.
Die anderen Pequeninos beobachteten ihn. Er hielt ihnen die Frucht hin. Einer nach dem anderen kamen sie zu ihm, Brüder und Gattinnen, kamen zu ihm und kosteten.
Und als diese Frucht verschwunden war, fingen sie an, den hellen und leuchtenden Baum zu erklettern, um die Früchte zu nehmen und sie miteinander zu teilen und sie zu essen, bis sie nicht mehr konnten. Und dann sangen sie. Olhado und seine Kinder blieben die ganze Nacht, um sie singen zu hören. Die Bewohner Milagres vernahmen den Klang davon, und viele von ihnen traten hinaus in das matte Licht der Abenddämmerung und folgten dem Leuchten des Baumes, um den Ort zu finden, an dem die Pequeninos, gesättigt von der Frucht, die nach Freude schmeckte, das Lied ihres Frohlockens sangen. Und der Baum in ihrem Mittelpunkt war ein Teil des Liedes. Das Aiúa, dessen Kraft und Feuer den Baum so viel lebendiger machten, als er es je zuvor gewesen war, tanzte in den Baum hinein, längs jeder Bahn des Baumes, tausendmal in jeder Sekunde.
Tausendmal in jeder Sekunde tanzte sie diesen Baum und alle anderen Bäume auf allen Welten, auf denen Pequeninowälder wuchsen, und jeder Mutterbaum, den sie besuchte, blühte auf und trug Früchte, und Pequeninos aßen davon und sogen tief den Duft der Früchte und Blüten
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