Ender 4: Enders Kinder
und während der Zeit, in der wir gelebt haben, waren wir lebendig. Das ist die Wahrheit – was ist, was war, was sein wird – nicht was sein könnte, was hätte gewesen sein sollen, was niemals sein kann. Wenn wir sterben, dann hat unser Tod eine Bedeutung für das restliche Universum. Selbst wenn unser Leben weitgehend unbekannt bleibt, hat allein die Tatsache, daß jemand hier gelebt hat und gestorben ist, Auswirkungen; sie formt das Universum.«
»Das reicht also für dich als Sinn?« sagte Grego. »Als ein Anschauungsbeispiel zu sterben? Zu sterben, damit andere Leute sich elend fühlen können, weil sie dich umgebracht haben?«
»Das ist nicht der schlechteste Sinn, den ein Leben haben kann.«
Wasserspringer unterbrach sie. »Der letzte der Verkürzer, auf die wir gewartet haben, ist am Netz. Wir haben sie jetzt alle miteinander verbunden.«
Ihre Unterhaltung erstarb. Es war Zeit für Jane, den Weg zu sich selbst zurückzufinden, wenn sie konnte. Sie warteten.
Durch eine ihrer Arbeiterinnen sah und hörte die Schwarmkönigin die Nachricht von der Wiederherstellung der Verkürzerverbindungen. ›Es ist so weit‹, teilte sie den Vaterbäumen mit.
›Kann sie es schaffen? Kannst du sie führen?‹
›Ich kann sie nicht an einen Ort führen, an den ich mich nicht selbst begeben kann‹, sagte die Schwarmkönigin. ›Sie muß ihren eigenen Weg finden. Alles, was ich jetzt tun kann, ist, ihr mitzuteilen, daß es so weit ist.‹
›Also können wir nur zusehen?‹
› Ich kann nur zusehen‹, sagte die Schwarmkönigin. › Ihr seid ein Teil von ihr, oder sie von euch. Ihr Aiúa ist jetzt durch die Mutterbäume mit eurem Netz verbunden. Seid bereit.‹
›Wofür?‹
›Falls Jane etwas braucht.‹
›Was wird sie denn brauchen? Wann wird sie es brauchen?‹
›Ich habe keine Ahnung.‹
An ihrem Terminal auf dem gestrandeten Sternenschiff schaute die Arbeiterin der Schwarmkönigin plötzlich auf, dann erhob sie sich aus ihrem Sitz und ging hinüber zu Jane.
Jane sah von ihrer Arbeit auf. »Was ist denn los?« fragte sie geistesabwesend. Und dann, als sie sich an das Signal erinnerte, auf das sie wartete, schaute sie hinüber zu Miro, der sich umgedreht hatte, um zu sehen, was vorging. »Ich muß jetzt gehen«, sagte sie.
Dann plumpste sie in ihren Sitz zurück, als sei sie ohnmächtig geworden.
Sofort war Miro aus seinem Sessel heraus; Ela war nicht weit dahinter. Die Arbeiterin hatte Jane bereits vom Sessel losgeschnallt und hob sie nun herunter. Miro half ihr, Janes Körper durch die schwerelosen Korridore zu den Betten im rückwärtigen Teil des Schiffes zu ziehen. Dort setzten sie sie ab und schnallten sie auf einem Bett fest. Ela überprüfte ihre Lebensfunktionen.
»Sie schläft tief«, sagte Ela. »Die Atmung ist sehr langsam.«
»Ein Koma?« fragte Miro.
»Sie tut nur das Nötigste, um am Leben zu bleiben«, sagte Ela. »Darüber hinaus ist nichts vorhanden.«
»Los, kommt«, sagte Quara von der Tür her. »Laßt uns wieder an die Arbeit gehen.«
Miro wollte sie schon wütend anfahren, aber Ela hielt ihn zurück. »Du kannst hierbleiben und auf sie aufpassen, wenn du willst«, sagte sie, »aber Quara hat recht. Wir haben unsere Arbeit zu tun. Sie tut ihre.«
Miro wandte sich wieder zu Jane um und berührte ihre Hand, nahm sie, hielt sie fest. Die anderen verließen das Schlafquartier. Du kannst mich nicht hören, du kannst mich nicht fühlen, du kannst mich nicht sehen, sagte Miro lautlos. Also bin ich vermutlich für dich nicht existent. Trotzdem kann ich dich nicht allein lassen. Wovor habe ich Angst? Wir sind alle tot, wenn du nicht erfolgreich bist mit dem, was du gerade tust. Also ist es nicht dein Tod, den ich fürchte.
Es ist dein altes Selbst. Deine alte Existenz zwischen den Computern und den Verkürzern. Du hast dich in einem menschlichen Körper ausgetobt, aber wenn deine alten Fähigkeiten wiederhergestellt sind, wird dein Leben als Mensch wieder nur ein kleiner Teil von dir sein. Nur eine sensorische Eingabeapparatur unter Millionen. Ein kleiner Satz von Erinnerungen, verloren in einem überwältigenden Meer der Erinnerung. Du wirst imstande sein, mir einen winzigen Teil deiner Aufmerksamkeit zu widmen, und ich werde nie erfahren, daß ich für ewig nur ein Nachgedanke in deinem Leben bin.
Das ist eben einer der Nachteile, wenn man jemanden liebt, der so viel größer ist als man selbst, sagte Miro sich. Ich werde den Unterschied niemals bemerken. Sie wird
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