Endless: Roman (German Edition)
hierher?«
»Wenn du mir zugehört hättest, wüsstest du, dass Bruder Henrique keineswegs hier für unsere Einheit arbeiten wird. Er ist der neue Pastor von Sankt Georg. Der Wiederaufbau der Kathedrale ist ja nahezu abgeschlossen …«
»Genau«, sagte Alaric sarkastisch. »Glauben Sie eigentlich, ich bin blöd?« Er versuchte erfolglos, die Akten wieder aufzustapeln. »Hat diese Stadt nicht genügend eigene Priester? Was ist denn mit dem alten Pfarrer von Sankt Georg?«
»Gar nichts, wenn man bedenkt, dass er an einem Herzinfarkt gestorben ist, als er gehört hat, dass seine Kirche vom Fürsten der Dunkelheit beinahe niedergebrannt worden ist.« Holtzman musterte Alaric ungeduldig. »Du lagst ja damals im Krankenhaus, deshalb hast du es vielleicht nicht gewusst, aber musst du eigentlich so unsensibel sein? Tut dir dein Bein so weh? Ich habe gedacht, du wärst nach der Physiotherapie so gut wie neu. Es liegt bestimmt daran, dass du die Sitzungen mit deinem Psychotherapeuten nicht wahrnimmst. Du bist einfach nicht erschienen …«
Alaric warf ihm einen finsteren Blick zu. »Hat Fiske sich über mich beschwert?«
»Sei nicht albern, Alaric«, sagte Holtzman. »Dr. Fiske scheint äußerst beeindruckt von deinen Fortschritten zu sein … wenn er dich zu Gesicht bekommt. Du musst nur häufiger zu ihm gehen.« Er streckte die Hand nach den Aktenmappen aus, die Alaric aufgesammelt hatte. »Vielleicht
solltest du einmal mit ihm darüber reden, warum du Bruder Henrique so feindselig gegenüberstehst. Hast du jemals darüber nachgedacht, dass du vielleicht eifersüchtig auf ihn sein könntest?«
Alaric verdrehte die Augen. »Ja, Abraham. Genau. Ich bin eifersüchtig auf einen angeberischen Prahlhans, der so in sich verliebt ist, dass es ihn nicht im Geringsten stört, eigentlich in seinem Job keinen Sex haben zu dürfen.«
»Die Kirche rechnet mit großer Medienaufmerksamkeit – und beträchtlichen Spenden – für die Ausstellungseröffnung im Metropolitan Museum of Art«, sagte Holtzman und ignorierte Alarics unfreundliche Antwort. »Deshalb haben sie sich auch so bemüht, es genau am San-Gennaro-Straßenfest stattfinden zu lassen, einem der größten, ältesten und beliebtesten Festtage in den Vereinigten Staaten. Die Eröffnung morgen Abend im Metropolitan Museum of Art wird eines der größten gesellschaftlichen Ereignisse werden. Dass Padre Cali…, ich meine, Bruder Henrique rechtzeitig hier sein konnte, um teilzunehmen, gehörte zu den bewussten Entscheidungen unserer Vorgesetzten …«
»Ja klar«, murmelte Alaric. »Der Padre ist ganz bestimmt nicht kamerascheu.«
»Du magst ihn ja für eine eitle Primadonna halten«, fuhr Holtzman fort, »aber ich kann dir versichern, wir anderen bewundern und respektieren ihn. Und von dir erwarte ich das gleiche Verhalten. Ich werde deinen Mangel an Respekt nicht mehr tolerieren. Wenn du ein Problem mit ihm hast, musst du den Dienstweg einhalten. Du wirst ihn weder verspotten noch demütigen. Und ich verbiete
dir auch Scherze und aggressives Verhalten. Hast du mich verstanden?«
Alaric ignorierte ihn. »Warum haben wir so viele Akten über vermisste Personen? Mir gegenüber hat das nie jemand erwähnt.«
»Oh.« Holtzman zuckte mit den Schultern und legte die Aktenmappen beiseite. »Im Herbst steigen die Vermisstenzahlen immer an – vor allem in Manhattan, hat man mir berichtet.«
Als Alaric ihn ungläubig anstarrte, erklärte Holtzman: »Im Herbst beginnt das neue Schuljahr, und Studenten brechen die Schule ab, trauen sich aber nicht, es ihren Eltern zu sagen, weil sie sich wegen ihrer schlechten Noten schämen oder mit Sex und Drogen experimentieren. Es steckt also nichts Schlimmes dahinter. Unser Kontaktmann bei der New Yorker Polizei hat uns die Akten trotzdem geschickt, weil es dieses Jahr mehr als sonst sind, aber ich konnte nichts Ungewöhnliches feststellen, deshalb schicke ich sie zurück …«
Alaric beugte sich vor und nahm seinem Chef den Aktenstapel erneut aus der Hand, um sie durchzusehen.
»Ich sagte«, wiederholte Holtzman gereizt, »ich habe nichts Ungewöhnliches festgestellt.«
Alaric grunzte nur. Er klappte den ersten Ordner auf, dann einen weiteren und warf sie beide auf Holtzmans Schreibtisch.
»Da ist nichts, Wulf«, sagte sein Vorgesetzter müde. »Dr. Fiske hat sich in weiten Teilen positiv über deine Genesung geäußert. Du bist einer unserer besten Offziere – mit einer beeindruckend hohen Anzahl an Tötungen,
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