Endless: Roman (German Edition)
meine Liebe?«
Mary Lou breitete die Arme aus, um sie zur Begrüßung zu umarmen, hielt aber dann inne und betrachtete das Kreuz.
»Oh«, sagte sie. Ihr Lächeln wurde ein wenig schwächer. »Wie … hübsch.«
»Mary Lou!« Meena blickte sich rasch um. Sonst schien niemand in einer der Kabinen zu sein.
Doch das war egal. Schwester Gertrude konnte jeden Moment wieder hereinkommen.
»Bist du wahnsinnig?«, flüsterte Meena. »Hier wimmelt es nur so von Topleuten der Geheimen Garde. Wenn jemand dich erkennt, wirst du gepfählt.«
»Ach, Liebes«, sagte Mary Lou. »Meinst du diese Nonne, die noch vor einer Minute hier war? Keine Sorge. Ich habe ihr einen kleinen geistigen Schubs in Richtung Küche gegeben. In den nächsten Stunden wird sie dort nach Lachs Ausschau halten.«
Meena starrte die große, elegante Blondine an. Sie trug ein dunkelbraunes Abendkleid aus einem glänzenden Stoff, das am Hals von einem juwelenbesetzten Halsband zusammengehalten wurde und schmucklos bis auf ihre unglaublich hohen Louboutins fiel. Ihre Lippen hatte sie
tiefrot geschminkt. Ihr Aussehen erinnerte Meena immer an die berühmte Spionin Mata Hari.
»Was machst du hier, Mary Lou?«, fragte Meena empört und doch seltsam gerührt.
»Ich soll dir eine Nachricht bringen«, erwiderte Mary Lou. »Sie ist von Lucien, wie du dir vielleicht denken kannst. Du weißt ja, dass er verrückt nach dir ist.«
»Ich glaube, ich muss mich setzen«, sagte Meena mit schwacher Stimme.
»Oh.« Mary Lou blickte sich um. »Nun, da drüben ist eine Couch. Es ist schön zu wissen, dass das ganze Geld, das Emil und ich über die Jahre hier hineingesteckt haben, nützlich angelegt wurde. Aber wie viele Gemälde von leidenden Heiligen braucht man eigentlich im Metropolitan Museum of Art? Komm, setz dich.«
Meena sank auf die Couch. Sie war mit Vinyl bezogen und anscheinend für stillende Mütter gedacht, aber das war ihr egal.
»Wo ist Lucien?«, fragte sie Mary Lou. »Er ist doch nicht etwa hier, oder? Im Metropolitan Museum of Art? Bitte sag nein.«
»Natürlich ist er hier.« Mary Lou blieb stehen und bewunderte ihr Spiegelbild. Vorbei waren die Zeiten, als Vampire sich nicht im Spiegel sehen konnten. Seit die Welt digital geworden war, konnten sie sich wie jeder andere in Filmen oder auch in Spiegeln, deren Rücken nicht aus Silber bestanden, anschauen. »Er sagte, er wollte dich an deinem Lieblingsplatz treffen. Ich habe allerdings keine Ahnung, was er damit gemeint hat, und ich habe ihn auch nicht gefragt. Ich bin zwar neugierig, aber so neugierig
nun auch wieder nicht. Ich fand, es sollte euer kleines Geheimnis bleiben.«
Meena wusste genau, welchen Ort Lucien meinte.
Seit dem Abend, an dem Lucien sie mitten in der Nacht ins Metropolitan Museum of Art geschleust hatte, war sie nicht mehr am Gemälde der Johanna von Orléans gewesen.
Natürlich war ihm das nur möglich gewesen, da er sich wie alle Vampire in Luft auflösen und sogar fliegen konnte.
Seitdem war es für Meena zu schmerzhaft, das Bild noch einmal anzuschauen, obwohl es immer noch ihr Lieblingsgemälde war.
»Mary Lou«, erklärte sie, »du musst ihm sagen, er soll verschwinden. Der Vatikan hat weltweiten Sicherheitsalarm ausgelöst, und Alaric glaubt, es ist wegen Lucien, weil sie irgendwie gewusst haben, dass er hierherkommt. Überall sind Wachen, die darauf warten, dass er auftaucht. Sie werden ihn fangen.« Mit erstickter Stimme fügte sie hinzu: »Sie werden ihn töten.«
Mary Lou hörte auf, sich im Spiegel zu betrachten, und blickte Meena an.
»Schätzchen«, entgegnete sie, »er ist der Fürst. Niemand wird ihn fangen, geschweige denn töten. Ich würde allerdings an deiner Stelle das Ding vom Hals nehmen, bevor du dich mit ihm triffst. Er hat zwar nichts gegen Gläubige, aber es nützt dir auch nichts.«
Meena berührte das Kreuz, das Alaric ihr gegeben hatte. Das Metall lag warm auf ihrer Haut.
»Mary Lou«, sagte sie. Erneut füllten sich ihre Augen
mit Tränen. »Ich meine es ernst. Es ist Wahnsinn. Im Übrigen ist Alaric bei mir. Wie soll ich denn die Party verlassen und mich mit Lucien in einem anderen Stockwerk treffen, ohne dass Alaric mein Verschwinden bemerkt?«
»Ach, Schätzchen«, erwiderte Mary Lou, »ich werde natürlich für Ablenkung sorgen. Glaub mir, ich kann sehr ablenkend sein, wenn ich will.«
»Hat Lucien dich darum gebeten?« Meena schüttelte den Kopf. »Das ist … Mary Lou, du könntest getötet werden. Wie konnte Lucien nur so
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