Endless: Roman (German Edition)
Bruder Henrique. Sofort nahm sie eine Model-Pose ein, lächelte strahlend und zog den Bauch ein. Alaric war es ein Rätsel, warum so eine schlanke Frau unbedingt noch schlanker erscheinen wollte.
Aber es war eben ihr Job, im Fernsehen gut auszusehen.
Und sie war Nachrichtensprecherin.
»Sagt ›cheese‹, Jungs«, forderte sie die Männer auf. »Das Foto kommt auf die Website.«
Ein Blitzlichtgewitter ging los. Genevieve und Bruder Henrique schien es nicht zu stören, vielleicht weil sie so oft für Fotos posierten, doch Alaric war geblendet.
»Schicken Sie mir bitte eins per E-Mail«, bat Bruder Henrique die Journalistin. »Alaric Wulf und ich sind alte Freunde, und ich hätte schrecklich gerne ein Foto zur Erinnerung an den heutigen Abend.«
»Selbstverständlich.« Genevieve ließ sie los. »Manny, lass dir die E-Mail-Adresse vom Priester geben.« Sie blickte Alaric an. »Was ist mit Ihnen? Möchten Sie auch gerne eine Erinnerung an heute Abend?«
»Ich glaube nicht«, sagte er.
Sie lächelte und steckte ihm ihre Visitenkarte in die Brusttasche seines Smoking-Jacketts. »Kann ich Ihre Meinung mit irgendetwas ändern?«
Alaric dachte an Holtzmans Anruf. Solche Panik hatte er noch nie zuvor in der Stimme seines Chefs gehört, und sie waren in der Vergangenheit schon in ganz schön brenzligen Situationen gewesen.
Sie hatten recht, hatte Holtzman gesagt. Sie hatten recht mit allem. Wir haben die Leichen gefunden. Und es ist schlimmer, als Sie sich vorstellen …
»Doch«, sagte er zu Genevieve. »Ich glaube, es gibt tatsächlich etwas, was Sie tun könnten.«
»Nun«, erwiderte sie lächelnd, »anscheinend finden wir beide doch noch etwas zur Erinnerung an diese Nacht.«
19
Meena lehnte die Stirn an die Seite der Toilettenkabine. Das Metall war kühl an ihrer Haut, und sie musste nicht mehr weinen.
Aber sie wollte noch nicht wieder hinausgehen. Es waren so viele Menschen da, und sie hatte keine Lust, sich unter die Gäste zu mischen. Sie hatte sowieso keine Ahnung, warum sie zu dieser Eröffnung eingeladen worden war. Warum sollte sie auf der Gästeliste des »bedeutendsten gesellschaftlichen Ereignisses des Jahres« stehen, wie Genevieve Fox in den Nachrichten gesagt hatte? Sie hatte schon einem berühmten Rockstar die Hand geschüttelt, einem früheren Bürgermeister von New York und natürlich dem Sportler, der seine Frau ermordet hatte.
Es war überhaupt nicht gut, dass sie gerade vor all diesen Leuten in Tränen ausgebrochen war, auch wenn sie es nicht gemerkt hatten.
Nein, sie wollte jetzt lieber erst mal nicht wieder hinausgehen. Sie hatte keine Lust mehr, ihnen die Zukunft vorauszusagen. Allerdings hatte sie es sowieso nicht richtig gemacht. Die meisten Leute hatte sie einfach angelogen.
Jemand klopfte an die Tür ihrer Kabine.
»Meena?« Es war Schwester Gertrude. »Alles in Ordnung, meine Liebe?«
»Ja, mir geht es gut«, erwiderte Meena.
Wahrscheinlich war es falsch zu lügen, aber es war ja nur eine kleine Notlüge.
»Oh, gut«, sagte Schwester Gertrude. »Dann warte ich draußen.«
»Okay«, antwortete Meena. »Ich komme gleich.«
Meena hörte, wie sich die Schritte der Nonne auf dem Marmorboden entfernten. Ein paar Sekunden später war sie allein.
Sie seufzte erleichtert. Dann tastete sie nach dem Kreuz um ihren Hals. Es drückte ihr beinahe die Luft ab.
Wir sollten es bei dem professionellen Level belassen, oder?, hatte Alaric im Taxi gesagt.
Sie fuhr mit dem Finger über die glatte Oberfläche des Kreuzes. Warum hatte er es ihr überhaupt gegeben, wenn er sie so sehr hasste?
Wahrscheinlich wollte er es bloß vermeiden, zu viele Formulare ausfüllen zu müssen, wenn sie unter seinem Schutz getötet würde.
Es war dumm von ihr gewesen, dass sie nicht schon längst ein Kreuz getragen hatte. Allerdings war es ihr auch immer viel zu simpel vorgekommen.
Aber dann dachte sie an die Geschichte, die Bruder Henrique erzählt hatte. Alaric war offensichtlich der Meinung, dass sie dem armen Mädchen hätten helfen können, wenn der Priester nicht weggelaufen wäre.
Vielleicht lag ja doch Macht in uralten Symbolen.
Schaden konnte die Kette auf jeden Fall nichts.
Erneut klopfte es an die Kabinentür.
»Ich komme gleich«, rief Meena.
Sie konnte sich schließlich nicht ewig in einer Toilettenkabine einschließen, dachte sie. Irgendwann musste sie sich der Realität stellen.
Sie erhob sich und öffnete die Tür.
Vor ihr stand Mary Lou Antonescu.
20
»Meena. Wie geht es dir,
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