Endlich bei dir in Virgin River (German Edition)
Dennis Avery rief seine Frau an, damit sie ihn abholte. Seans Schädel hämmerte, und sein linkes Auge war fast vollkommen zugeschwollen, als er die kleine Polizeistation verließ und hinaustrat.
Und da stand Franci, an ihr Auto gelehnt. Sie betrachtete ihn mit angeekeltem Gesichtsausdruck. „Los, steig ein“, meinte sie. „Ich bringe dich nach Hause. Du kannst morgen mit Luke deinen Wagen holen, falls du heute Nacht im Schlaf nicht stirbst.“
„Das klingt so, als würdest du hoffen, dass ich im Schlaf sterbe“, sagte er.
„Red keinen Unsinn. Ich wünsche dir einen viel gewaltsameren Tod. Und jetzt steig ein – ich hab nicht den ganzen Abend Zeit.“
„Stimmt“, entgegnete er spöttisch. „Du hast es ja eilig. Wie konnte ich das vergessen?“
Kaum dass sie im Auto saßen, sagte sie zu ihm: „Du musst mir sagen, wo lang. Ich weiß nicht, wo ich hinmuss.“
„Nur zu meinem Wagen“, erwiderte er. „Der steht vorm Supermarkt.“
„Nein, ich fahre dich zu Luke“, widersprach sie. „Du kannst in diesem Zustand nicht fahren – mit einer möglichen Kopfverletzung. Ich will deinetwegen nicht auch noch ein schlechtes Gewissen haben. Also – wo lang?“
Sean seufzte hörbar. Er hatte wirklich keine Kraft, mit ihr zu streiten. „Richtung Süden bis zum Highway 36, dann ungefähr zwanzig Minuten auf dem Highway. Ich sage dir dann, wo wir rausfahren müssen. Virgin River liegt ungefähr 18 Kilometer vom Highway entfernt, in den Bergen versteckt.“
„Ich kenne die 36. Irgendwie rührend, diese Straße als Highway zu bezeichnen – sie ist nur zweispurig“, meinte sie. „Grauenhaft.“
„Ja, man muss sich an diese Bergstraßen erst mal gewöhnen. Es ist übrigens sehr nett von dir, Francine, dass du mich nach Hause bringst. Oder sinnst du auf Rache? Wirfst du mich vielleicht in der nächsten scharfen Kurve aus dem Auto?“
Sie ignorierte ihn. „Ich sage dir, was ich für dich tun werde, Sean. Ich gebe dir meine Handynummer und du kannst mich anrufen. Wenn ich mal nix zu tun habe, können wir uns auf einen Kaffee treffen – eine halbe Stunde sollte ja wohl reichen. Dann reden wir, und vielleicht können wir ein paar Dinge klären. Aber danach lässt du mich in Ruhe. Kapiert? Ich habe keine Lust auf diese Scheiße. Du hattest wirklich genug Zeit, über mich nachzudenken, und du hast dich
sehr
klar geäußert. Keine Verantwortung. Keine Familie. Ich habe ein neues Leben begonnen, und wenn
du
das noch nicht getan hast, ist es höchste Eisenbahn. Verstehst du mich?“
Sean verstand nur, dass er auf einmal kostbare dreißig Minuten mit ihr verbringen würde. Er musste sich gut überlegen, wie er die halbe Stunde am besten nutzte. „Ich wollte das alles nicht, Franci“, sagte er leise und hoffte, es klang zärtlich.
„Und trotzdem ist es so“, informierte sie ihn sachlich.
Nachdem sie Sean bei Luke abgesetzt hatte, fuhr Franci auf dem Highway 36 zurück, dem dunkelsten Highway, auf dem sie jemals gefahren war. Sie hatte Zeit zum Nachdenken und musste zugeben, dass sie Seans Nachrichten damals erhalten hatte – alle beide. Die erste erreichte sie, während sie in den Wehen lag, sechs Monate nach ihrer Trennung. Sie lautete: „Hey Fran! Wie geht’s dir, Babe? Ruf doch mal an. Wir sollten den Kontakt nicht abreißen lassen, was meinst du?“ Bei seinem zweiten Anruf war sie mit ihrem zehn Tage alten Baby im Haus ihrer Mutter, wo sie abwechselnd schlief, weinte, sich um ihr Kind kümmerte und verzweifelt durch die Wohnung lief. Auch dieser Anruf war so hohl wie der erste. „Franci, ruf doch mal zurück. Komm schon, Babe. Wir können doch miteinander reden. Ich möchte dir alles über die neue U-2 erzählen. Also ruf mich an! Lass den Kontakt nicht abreißen, Süße.“ Vielleicht war das ein Grund dafür, warum es sie so wütend gemacht hatte, als der Riesenkerl im Supermarkt sie „Süße“ genannt hatte.
Damals hatte sich Franci die Anrufe immer wieder angehört. Sie war hin- und hergerissen. Sollte sie ihm den Tod wünschen oder darauf hoffen, dass er zu ihr zurückkam? Sie wusste, dass sie ein Problem hatte. Die Wochen vergingen und sie hörte nichts mehr von ihm. Also schaltete sie irgendwann ihr Handy aus und besorgte sich eine neue Nummer. Außerdem änderte sie ihre E-Mail-Adresse und sah sich nach einem neuen Job um. Sie wollte fort aus Santa Rosa.
Trotzdem hatte sie immer geahnt, seit ihrer Trennung vor vier Jahren, dass sie sich eines Tages mit Sean auseinandersetzen musste. Sie
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