Endlich geborgen
Zum ersten Mal seit Phillip gestorben und Louise in ihr Leben getreten war, leuchteten Kevins blaue Augen wieder.
„Natürlich kannst du das.” Melanie umfasste zärtlich sein Kinn und gab ihm einen Kuss auf die Nase. „Ein Rührei mit Käse und Schinken -kommt sofort.”
Oben wurde eine Tür geöffnet und wieder geschlossen. Zwei Rühreier, verbesserte sie sich.
Und dann zwang sie sich, an diese Aufgabe zu denken und nicht daran, wie sich Gabriels Finger auf ihrem Arm angefühlt hatten.
Gabriel lag auf dem Rücken unter dem Waschbecken im oberen Badezimmer, eine Zange in der einen und einen Lappen in der anderen Hand. Seit einer Viertelstunde versuchte er, das verrostete Abflussrohr abzuschrauben, erfolglos.
Fluchend schob er sich unter dem Becken vor und setzte sich auf.
Von unten drangen verlockende Gerüche herauf. Er atmete tief ein, und sein Magen knurrte.
Zum Glück hatte sie nicht abgelehnt, als er sie gebeten hatte zu kochen, obwohl er genau damit gerechnet hatte.
Er hatte ihr noch nicht gesagt, dass er eine Batterie für ihren Wagen gekauft hatte. Und er würde sie einbauen, mit oder ohne ihre Zustimmung.
Ich bin nicht verheiratet.
Immer wieder musste er an diese Worte denken. Und damit auch an die Frage: Was genau war ihr Problem?
Er hatte noch spät am vergangenen Abend Cara angerufen in der Hoffnung, von ihr einige Informationen zu erhalten, aber sie war sehr verschlossen gewesen. Sie hatte erklärt, Melanie würde ihm selbst sagen, was er wissen solle.
Seine Vermutung, sie würde sich vor einem gewalttätigen Ehemann verstecken, stimmte also nicht. War sie vielleicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten?
Nein, das glaubte er nicht, obwohl sie am letzten Abend beinahe in Panik geraten war, als sie angenommen hatte, er würde die Polizei rufen. Er hatte gesehen, wie zärtlich sie mit ihrem Sohn umging. Vorsichtig berührte Gabriel die Schramme an seiner Wange und dachte an ihre Besorgnis beim Anblick des Blutes, als sie geglaubt hatte, es wäre ihre Schuld gewesen.
Sogar ihr Versuch, ihn mit der Statuette niederzuschlagen, war nur halbherzig gewesen. Er hielt diese Frau nicht eine Sekunde lang für eine Kriminelle.
Aber in welchen Schwierigkeiten steckte sie bloß?
Es ging ihn nichts an. Sobald er die Batterie eingebaut hatte, würde sie unterwegs sein, also gleich nach dem Frühstück. Wozu dann all diese Spekulationen? Es tat ihm nicht gut, bei Melanie über den Augenblick hinauszudenken. Ganz und gar nicht gut.
Er blickte auf seine Hand und erinnerte sich an ihre Berührung. Es war nur ein kurzer Kontakt gewesen, aber es war etwas geschehen - etwas Beunruhigendes.
Genauso wie letzte Nacht, als er ihre Hand geschüttelt hatte.
Verlangen spielte dabei eine Rolle, natürlich. Das hatte er schon oft bei einer Frau gespürt.
Aber Verlangen hatte ihn niemals so aus dem Gleichgewicht gebracht.
„Geht es Ihnen gut?”
Beim Klang ihrer Stimme sah er auf. Melanie stand an der Tür, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
„Ich glaubte, Sie fluchen zu hören”, sagte sie und betrachtete die Zange in seiner Hand.
„Ich kämpfe gegen dreißig Jahre Rost”, erklärte er, stand auf und warf die Zange in seine Werkzeugkiste. „Ich werde mit einer größeren Zange wiederkommen.”
Lächelnd schaute sie sich in dem geräumigen Badezimmer um, sah die vierfüßige Badewanne, ließ den Blick bewundernd auf einem alten Schrank aus Kirschholz ruhen, zu dem es auch einen passenden Frisiertisch gab. Gabriel bemerkte, wie sie beim Anblick der zahlreichen Parfümflaschen und der eleganten silbernen Bürsten und Kämme leuchtende Augen bekam.
„Seltsam”, Gabriel betrachtete den Tisch. „Ich hätte nie gedacht, dass Miss Witherspoon silberne Bürsten und Kristallflakons besitzen würde.”
„Sie war eine nette Dame”, bemerkte Melanie.
Eine nette Dame? Man hatte sich vieles über Miss Witherspoon erzählt, aber nie, dass sie nett war. Dann begriff er, was Melanie gerade gesagt hatte. „Sie haben sie gekannt?”
„Ja”, antwortete Melanie einsilbig und riss dann den Blick von dem Frisiertisch los. „Das Frühstück ist fertig.” Sie wandte sich ab und eilte die Stufen hinunter.
Nachdenklich sah Gabriel ihr nach. Soweit er wusste, hatte Mildred Bloomfield County nie verlassen. Es war bekannt, dass sie nur für den Kirchgang, zu Versammlungen oder gelegentlichen Arztbesuchen das Haus verlassen hatte. In den letzten Jahren hatte sie sich sogar Lebens mittel nach Hause liefern lassen.
Weitere Kostenlose Bücher