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Endlich wieder leben

Endlich wieder leben

Titel: Endlich wieder leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helga Hirsch
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die Verantwortung nach Kriegs- und Nachkriegsjahren schließlich doch nicht ungern wieder an die Männer abgetreten hatten. Frauen wählten mehrheitlich konservativ. 58,5 Prozent der CDU-Wähler waren bei der Bundestagswahl 1953 weiblich. Und da es mehr weibliche Wahlberechtigte gab, hatte die CDU bei einem Gesamtstimmenanteil von 43,6 Prozent einen weiblichen Stimmenüberhang von 2,2 Millionen. 17 Eine wenn auch untergeordnete Rolle
innerhalb einer traditionellen Kleinfamilie erschien den meisten Frauen offensichtlich attraktiver als eine Existenz im Heer der »überzähligen« Frauen – der geächteten Geschiedenen, der bemitleideten und gemiedenen Kriegerwitwen oder der jungen Ledigen.
    Die »überzähligen« Frauen wirkten wie ein Stachel im Fleisch der Gesellschaft, zumal wenn sie im gebärfähigen Alter waren. Allein durch ihre Existenz sprengten sie das Projekt von Sittlichkeit und Anstand, das auf die »Normalfamilie« festlegte. »Sie sind es, die den Krieg mit ihrer Ehelosigkeit zu bezahlen haben«, schrieb die Publizistin Regina Bohne Ende der fünfziger Jahre, »denn für sie wachsen keine Männer mehr nach! Die nachwachsenden Männer sind jünger und fallen in der Regel als möglicher Ehemann dieser Frauen aus.« 18
    Wenn »überzählige« Frauen nicht auf Sexualität oder auf Kinder verzichten wollten, mussten sie Verhältnisse mit verheirateten Männern eingehen. Sie waren eine permanente, als Bedrohung empfundene Konkurrenz für die Ehefrauen und wurden möglichst an den gesellschaftlichen Rand gedrängt. »Die Ehefrauen der Männer, mit denen ich beruflich zu tun habe, sind eifersüchtig darauf bedacht, die Kollegin ihres Mannes ja nicht gesellschaftlich heranzuziehen, wenn diese unverheiratet ist oder wenn sie keinen Freund hat, der mit eingeladen werden kann.« 19 Es kamen tatsächlich auffällig viele uneheliche Kinder zur Welt. Mit der Schande dieses »Fehltritts« belastete die patriarchalisch denkende Gesellschaft aber fast ausschließlich die Frauen.
    Es gebe für die »überzähligen« Frauen drei Möglichkeiten, behauptete ein Autor zynisch: Sie könnten – erstens – »verbittern und dann höchstens noch ihre unfruchtbare Armheit genießen«; sie könnten – zweitens – »erraffen (!), was zu erraffen ist und sich schadlos zu halten suchen, so gut es geht«; sie könnten sich aber auch »über ihr scheinbar blind gefälltes Geschick sehend erheben und in der Annahme dieses Geschicks die Bitternis des verlangenden Herzens in die Süßigkeit echter Überwindung verkehren«. 20
    Es gab also nur schlechte Lösungen.

    »Ich glaube es keiner Frau in meinem Alter«, erklärte eine 44-jährige Mutter einer 14-jährigen Tochter, »wenn sie behauptet, sie wolle nicht wieder heiraten. Das ist ein Selbstbetrug. Ich selber würde es nicht von mir behaupten. Die Einsamkeit nach der Bürozeit ist trotz des Kindes oft groß; ich brauche im Grunde den Partner, brauche Schutz und Anlehnung. Die Freiheit, in der ich zu leben gezwungen bin, habe ich mir nicht gesucht; aber ich muss gestehen, dass ich heute gar keine Ausschau mehr nach einem Mann halte …, ich denke tatsächlich nicht daran, um es mir nicht schwer zu machen.« 21
    Einigen gelang es immerhin, Ablenkung, vielleicht sogar Befriedigung im neuen oder alten Beruf zu finden und eigenen Interessen nachzugehen. Mit Anerkennung seitens der Gesellschaft konnten hingegen nur jene rechnen, die sich bis ans Ende ihres Lebens als »tapfere Teilhaberin des Lebensopfers ihres Mannes« und »glaubwürdige Hüterin seines geistigen und sittlichen Vermächtnisses« verstanden: »Wenn in ihrem Gemüte, der wahren Familiengruft, der geliebte Tote geistig weilt bis zum Wiedersehen«, 22 wenn Witwen die Bereitschaft zum »allmählichen Mitsterben« 23 entwickelten und aufgrund der nie geheilten Wunde des Verlustes völlig unempfindlich geworden waren für das andere Geschlecht, für ihre weiblichen, auch sexuellen Bedürfnisse, also einen Teil des Frauseins abgespalten hatten. »Von dieser stillen Tapferkeit alleinstehender Frauen und Mütter wäre ein hohes Lied zu singen gewesen, das noch heute viele Zeitungsspalten füllen könnte … als Beispiel von Entsagungskraft und Lebensmut«, lobte der Chefredakteur der Zeitung des Verbandes der Kriegsbeschädigten (VdK) 1957.
    Es gab nicht wenige Frauen, die eben dieses Entsagen verinnerlicht hatten. Anfang der fünfziger Jahre, so erinnerte sich der Journalist Thorsten Fuchs, habe ein stattlicher Witwer

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