Endlich wieder leben
verließen und sich mit dem siegreichen Feind einließen. »Sie vergessen den ganzen Jammer und die Not des Vaterlandes«, klagte ein Stuttgarter Oberkirchenrat im März 1946. »Ihr Benehmen ist eine Schmach für die heimkehrenden Männer und ein Ärgernis für die ganze Öffentlichkeit.« 38
Deutsche Frauen, die sich mit amerikanischen Soldaten einließen, fügten den deutschen Männern eine zweite Niederlage zu, indem sie den einstigen Feinden den Vorzug gaben. Außerdem genossen diese deutschen Frauen eine Atmosphäre und ein Leben, auf das die deutschen Durchschnittsmänner nur voller Neid und mit Bitterkeit blicken konnten. »Um die amerikanischen Jungen war Luft, die Luft der weiten Welt; der Zauber der Ferne, aus der sie kamen, verschönte sie«, schrieb Wolfgang Koeppen 1951 in seinem Roman Tauben im Gras . »Die amerikanischen Jungen waren freundlich, kindlich und so unbeschwert. Sie waren nicht so mit Schicksal und Angst, Zweifel, Vergangenheit und Aussichtslosigkeit beladen wie die deutschen Jungen.« Sie waren nicht die Geschlagenen, sondern die Sieger. Sie kamen nicht abgerissen, verwundet, ohne Selbstvertrauen, sondern als Angehörige einer moralisch und politisch überlegenen Großmacht, die mit Cocktailpartys sowie dem Jazz und Swing ihrer Clubs die Atmosphäre einer heiteren, vitalen Welt verströmten. Viele besaßen zudem eine sexuelle Ausstrahlungskraft, die Leidenschaft, große Gefühle und Lebendigkeit versprach. Statt sich als Witwe in Entsagung zu üben oder als dienende Ehefrau und Mutter an den heimischen Herd zurückzukehren, »sabotierten die ›Fräuleins‹ das nationale Projekt mit ihrer ›Fahnenflucht‹ zum Exotischen, Anderen, das die Amerikaner, vor allem die Afroamerikaner, darstellten.« 39
In Amerika erschienen die Frauen als Verführerinnen zum Laster. Sie standen am Rande der Autostraßen, »Hunderte gutaussehender gesunder Blondinen, liebeslustig und ohne moralische Hemmungen«, schrieb der Zeitzeuge Arthur D. Kahn. »Sie standen in Gruppen, zu zweit oder zu dritt, manchmal auch zu zehnt, zu zwölft, sie lächelten, winkten, und ihre einladenden Gesten waren deutlich genug.« Um ihre Soldaten von diesen lasterhaften »Fräuleins« fernzuhalten, wurden sie als eine neue Variante der »Nazi-Gretchen« dargestellt, die angeblich besonders anfällig gewesen waren für die Nazi-Ideologie und dem Führer sogar Kinder geboren hatten. »Stay away from Gretchen«, titelte die Zeitschrift Newsweek im Juli 1945.
Bild 7
Unpatriotisch und unmoralisch: Deutsche »Fräuleins«, die sich mit Besatzungssoldaten einließen, galten vielen als Verräterinnen, die für Nylonstrümpfe, Zigaretten und Sex der Schicksalsgemeinschaft der Geschlagenen und Besiegten den Rücken kehrten.
Ein Fraternisierungsverbot, von der amerikanischen Militärführung noch in den letzten Kriegsmonaten erlassen, um die angebliche Unterwanderung amerikanischer Truppen zu verhindern, entfaltete allerdings ebenso wenig Wirkung wie die 250 000 Poster in den Kasernen, die vor dem »hübschen deutschen Mädchen« warnten: »Sie hasst dich, genau wie ihr Bruder, der gegen dich kämpft, genau wie Hitler, der ihre Gedanken laut ausspricht. Don’t fraternize.«
»In der ganzen Stadt (Nauheim) gab es Aushänge, auf denen Fraternisierungsverbote und Ausgangssperre für Deutsche verfügt wurden«, bestätigt Katharina Militello, die damals ihren zukünftigen Mann kennenlernte. 40 »Doch schon nach den ersten Ami-Patrouillen, die nach Waffen und Wehrmacht-Nachzüglern suchten, erwiesen sich diese Bestimmungen als gegenstandslos. Jeder wollte, dass der Krieg aufhörte, auch die Soldaten. Es war Mitte März 1945, und im Osten und Süden wurde noch gekämpft … Unsere Treffen fanden dann nur heimlich statt, wenn die Militärpolizei nicht in Sichtweite war, und die meisten von denen hatten ebenfalls deutsche Freundinnen« – Fräuleins.
In den zwanziger Jahren waren»Fräuleins« noch respektierte berufstätige Frauen gewesen, die ihre Unabhängigkeit zu schätzen wussten. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde »Fräulein« zur verächtlichen Bezeichnung für alle Frauen, die Beziehungen zu Besatzungssoldaten aufnahmen. »Amiflittchen« galten als Prostituierte, die mit Sex für Zigaretten, Nylonstrümpfe, Alkohol und Vergnügungen bezahlten. Ob eine Frau zielgerichtet Kontakt zu einem Soldaten aufnahm, weil die Familie Hunger litt, ob sie auf eine Beziehung spekulierte, die sie ins amerikanische Paradies führen würde,
ob sie
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